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4. Leipziger Baugespräch

  • Beim Bauen im Bestand erwarten die deutsche Bauwirtschaft Milliardenaufträge
  • 24 Millionen Wohnungen sind sanierungswürdig
  • Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt bezweifelt Sinn des sozialen Wohnungsbaus und fordert Änderung des Kündigungsrechts

(29.3.2003) Unter dem Motto "Bauen in Deutschland - Niedergang ohne Ende?" diskutierten 250 Vertreter aus Bauwirtschaft, Planung, Architektur, Politik und Wissenschaft beim "4. Leipziger Baugespräch". Am Ende des prominent besetzten Expertentreffs, der in Zusammenarbeit mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im Congress Center Leipzig stattfand, waren sich die meisten Teilnehmer einig, dass vor allem das Bauen im Bestand Chancen bietet, wenn die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Denn drei Viertel des gesamten deutschen Wohnungsbestandes sind älter als 25 Jahre. Daraus ergibt sich ein gewaltiges Potenzial. Bereits jetzt erfolgen rund 60 Prozent des Wohnungsbaus im Bestand - und bis zum Jahr 2020 wird sich dieses Volumen verdoppeln, informierte Professor Dr. Ing. Joachim Arlt, Direktor des Institutes für Bauforschung in Hannover. Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, Professor Dr. Karl Robl, fügte hinzu, dass sich von den 38,4 Millionen Wohneinheiten auf dem deutschen Markt gegenwärtig 24 Millionen in einem sanierungswürdigen Zustand befänden. Das daraus resultierende Auftragsvolumen bezifferte er mit 350 Milliarden Euro.

4. Leipziger Baugespräch: Bauen im Bestand, Bauwirtschaft, Wohnungen, Wohnungssanierung, Wohnungsbau, Architektur, Institut für Bauforschung, Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, Bauunternehmen, Bundesregierung, Bundesbauministerium, Bausektor, Stadtumbau Ost

Ein weiteres Auftragspotenzial erwachse daraus, dass die Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern erst die Hälfte des westdeutschen Standards erreicht habe, berichtete Rainer Oschütz unter Verweis auf die Debatte im Gesprächskreis. Als nötiges Signal in die Zukunft, um Firmensterben im größeren Umfang zu verhindern, wertete er zudem die Forderung, "den deutschen Baumarkt zu qualifizieren". Analog von Erfahrungen in Frankreich und den Beneluxstaaten sollten Bauunternehmen künftig bereits vor ihrem Markteintritt geprüft werden.

Reserven sehen die Fachleute auch in einer besseren Koordination aller am Bau Beteiligten. Ein Weg dahin könnten Bauteams sein, wie man sie aus den Niederlanden kennt, in denen Handwerker verschiedener Gewerke zusammenarbeiten. Auch mit einer stärkeren integrierten Planung könnten Potenziale erschlossen werden.

Bundesregierung kündigt "kräftige Entlastungen" an

Die Bundesregierung wolle den Kommunen "erhebliche Spielräume" für Investitionen in ihre Infrastruktur eröffnen, sagte der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Tilo Braune, zu Beginn des Baugespräches. Neben dem kürzlich vom Bundeskanzler angekündigten Programm von sieben Milliarden Euro für die Kommunen und acht Milliarden Euro für die private Wohnraumsanierung kündigte er weitere "kräftige Entlastungen" der Gemeinden an. Hierzu gehörten die Befreiung der kommunalen Haushalte von ihrem finanziellen Beitrag zum Flutopferfonds in einer Gesamthöhe von 800 Millionen Euro.

197 Kommunen wurden laut Braune 2002 in das Stadtumbauprogramm aufgenommen. Ihnen stünden damit insgesamt 153 Millionen Euro zur Verfügung, die für den Rückbau von mindestens 45.000 leer stehenden Wohnungen ausreichten. Auf diese Weise solle der Immobilienmarkt belebt werden. Durch neue Gesetze wolle der Bund zudem erreichen, dass sich die Abschreibungen für den Mietwohnungsneubau künftig "nicht am Steuerkick sondern am Markt orientieren", so Braune. Neubauten sollen künftig über 33 Jahre linear mit drei Prozent abgeschrieben werden statt bisher über 50 Jahre.

Die Rahmenbedingungen für die deutsche Bauwirtschaft nannte der Staatssekretär "im Wesentlichen gut". Selbst in den gegenwärtig schwierigen Zeiten beschäftige der Bausektor 2,4 Millionen Menschen und erwirtschafte fünf Prozent des Bruttoinlandproduktes. Für den überdurchschnittlichen volkswirtschaftlichen Effekt der Bautätigkeit spreche auch, dass aus einer eingesetzten "Baumilliarde" Nachfolgeinvestitionen von 2,5 Milliarden Euro erwüchsen. "Das entspricht der Sicherung von 25.000 Arbeitsplätzen über ein Jahr", so der Politiker. Allein "im nach wie vor nötigen sozialen Wohnungsbau" erhöhe die Bundesregierung die Mittel im aktuellen Haushalt um 50 Millionen auf 280 Millionen Euro. Die zusätzliche Summe komme vor allem Ballungsräumen zugute.

Zugleich verwies Braune auf die hohen Investitionen des Bundes in die Infrastruktur, die allein in diesem Jahr 13,2 Milliarden Euro umfassten, davon 11,5 Milliarden Euro für Neu-, Ausbau und Erhalt der Verkehrswege. In der mittelfristigen Planung würden die Mittel auf diesem "hohen Niveau" fortgeschrieben. Bereits zwischen 1991 und 2002 habe der Bund 130 Milliarden Euro in Baumaßnahmen an Straße, Schiene und Wasserwegen gesteckt, davon 40 Prozent in den neuen Bundesländern  (siehe auch Meldung vom 27.3.2003).

Milbradt: Mehr Rückbau statt Umbau fördern

Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) ging dennoch kritisch mit der Bundesregierung ins Gericht. Der Rückbau von leer stehenden Wohnungen führe in Sachsen nicht zu einem Abbau des Leerstandes sondern gleiche lediglich die Zahl der neu gebauten Wohnungen aus. Milbradt zufolge stehen in Sachsen 400.000 Wohnungen leer, davon seien 150.000 saniert oder erst neu gebaut worden. Angesichts der Leerstandsproblematik forderte er, den Wohnungsbau nicht mehr mit steuerlichen Instrumenten zu fördern. Er plädiert für eine "Diskussion darüber, ob es noch Sinn macht, den Wohnungsneubau weitaus stärker zu fördern als den Wohneigentumserwerb". Gerade in Ostdeutschland mit der noch niedrigen Wohneigentumsquote halte er dies für falsch. Es sei unsinnig, so der Regierungschef, auf die unterschiedliche Situation in den verschiedenen Teilen Deutschlands mit einem einheitlichen Instrument undifferenziert zu antworten. Zugleich kritisierte er, dass in Deutschland im Verhältnis zu den verfügbaren Einkommen zu teuer gebaut werde.

Mit Blick auf den Stadtumbau Ost muss nach Milbradts Worten dem Abriss künftig noch größere Priorität beigemessen werden als dem Umbau. Das gegenwärtige Kündigungsrecht hält der Regierungschef nicht mehr für angemessen, weil es den Rückbau behindere und die Kosten dafür in die Höhe treibe. Er regte für die neuen Ländern eine Sonderregelung zum Kündigungsschutz an. Zweifel äußerte er zudem am Sinn des Sozialen Wohnungsbaus. Zur Unterstützung von bedürftigen Familien gebe es "effizientere und preiswertere Möglichkeiten", so Milbradt.

Leipzigs Stadtplanungsamtschef Wolfgang Kunz mahnte den Bund, die Förderung der Kommunen beim Ausbau und bei der Erneuerung ihrer baulichen Infrastruktur weiterhin und verstärkt zu unterstützen. Schon im Interesse der regionalen Bauwirtschaft sei es nötig, den Fördersatz pro Bauvorhaben zu erhöhen und die Definitionen für die Förderfähigkeit weniger eng zu regeln. Baufirmen aus dem engeren Umland seien nachweislich ein hoher Nutznießer städtischer Investitionen, so der Chefplaner. Bei der Bezuschussung privater Immobilieninvestitionen, die ebenfalls fortgeführt werden solle, plädierte er für eine mehr lenkende Einflussnahme - für die Revitalisierung innerstädtischer Quartiere zu Lasten der "grünen Wiese". Denn das liege im Trend: In den letzten fünf Jahren seien 25.000 Menschen in Leipzigs Innenstadtbereiche zurückgekehrt. Allerdings wären derzeit auch 3.000 Gründerzeithäuser nicht bewohnbar.

Das auf zum Baugespräch kontrovers diskutierte Thema "Stadtumbau Ost" ist auch ein Bestandteil des Rahmenprogramms zur Leipziger Bau-Fachmesse vom 6. bis 9. November 2003. Neu zur BauFach ist ebenfalls ein internationales Kontaktmanagement, das Baufirmen aus Ost- und Westeuropa zusammenführt.

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