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Semitransparente Ziegeleindeckung ermöglicht großartige Dachräume

(20.6.2007) Über Jahrzehnte hinweg fristete der "Alte Hof", ehemalige Kaiserresidenz der Wittelsbacher, ein Schattendasein in der Münchener Innenstadt. Nach Kriegszerstörungen, in den 1950er Jahren mit bescheidenen Mitteln wieder aufgebaut und größtenteils als Bürofläche für die Bayrische Finanzverwaltung genutzt, wurde das Ensemble trotz seiner zentralen Lage zwischen Platzl und Marienhof nur von Eingeweihten als stadtgeschichtlich bedeutsamer Ort wahrgenommen (siehe auch Bing-Maps und/oder Google-Maps). Eine umfassende Revitalisierung dieses Ensembles wurde jetzt beschlossen. Aufgrund des dafür erforderlichen hohen wirtschaftlichen Aufwandes war von dem Bauherrn ein hoher Nutzungsdruck vorgegeben. So wurde es erforderlich, auch die Dachräume für eine bis zu dreigeschossige Nutzung zu berücksichtigen, ohne dabei jedoch auf die die Umgebungsbebauung beschreibende, ruhige Ziegeldachlandschaft zu verzichten.

Im Zuge dieser groß angelegten Sanierungsmaßnahmen wurden zunächst die Nachkriegszweckbauten im Ostteil der Anlage wieder abgetragen, und es stellte sich danach in der Folge eines Wettbewerbsverfahrens im Jahr 2003 dem Büro Auer+Weber+Architekten, München, die Aufgabe, das historische Ensemble so zu ergänzen, dass die ehemalige Burganlage wieder als besonderer Ort und räumliche Einheit im innerstädtischen Kontext erlebbar wird.

Fokussierung auf den Hof

Definierte Strukturen waren nur noch fragmentarisch vorhanden, so dass teilweise auf eine Orientierung an der Situation vor dem Krieg zurückgegriffen werden musste. Das bedeutete, den Hof wieder von außen ablesbar zu machen und ihn als solchen zu stärken. Dazu gehörte es auch, das Karree wieder durch eine klare Dachlandschaft zu definieren.


Der Entwurfsansatz der Architekten bestand darin, die beiden den Burghof säumenden Gebäudeteile Pfister- und Brunnenstock hinsichtlich ihrer Volumetrie, Baukörperführung und Fassadengliederung den flankierenden Bestandsbauten deutlich unterzuordnen, in der präzisen Ausformulierung der Detailpunkte jedoch die moderne Haltung der Neubauten unmissverständlich zu erkennen zu geben. Durchlaufende Trauflinien, ruhige Ziegeldachflächen und ein ausgewogenes Verhältnis von Wand und Öffnungen in den Fassaden stärken so die Homogenität der Gesamtanlage, während beispielsweise in der Ausgestaltung der Fenster die historischen Vorläufer modern interpretiert und variiert werden: Präzise Stahllaibungen fassen die stehenden Fensterformate und werden in den Gebäudeteilen der jeweiligen Nutzung entsprechend zu Wohnungsfenstern mit ausstellbaren Holzrolläden bzw. in den Büroetagen durch außenbündige Prallscheiben zu Kastenfenstern ergänzt. Auch die Wandoberflächen in Sichtbeton, Putz und Naturstein zitieren die Massivität der historischen Hofbebauung, wobei beispielsweise Trauf- und Sockelanschlüsse in ihrer reduziert puristischen Ausformulierung eine deutlich moderne Architekturauffassung widerspiegeln.

Semitransparente Ziegeleindeckung

Als besondere Herausforderung erwies sich für die Architekten die Behandlung der Dachflächen, die in möglichst flächiger Ausgestaltung sowie einheitlicher Materialität ein wichtiges Bindeglied zur Bestandsbebauung darstellen sollten. Die aus Gründen der Wirtschaftlichkeit bis zu dreigeschossige Büro- bzw. Wohnnutzung der Dachräume zog dann auch entsprechende Belichtungserfordernisse nach sich. Der Einsatz von Gauben und Dachflächenfenstern in gestalterischer Anlehnung an die Fensterausbildungen in den Lochfassaden konnte hier nur Teil der Lösung sein.

Auer+Weber+Architekten entwickelten in Kooperation mit der Moeding Keramikfassaden GmbH ein System, bei dem Belichtungseinschnitte bzw. Dachflächenverglasungen durch darüber angeordnete Ziegellamellen so in die Dachlandschaft eingebunden werden, dass trotz guter Innenraumbelichtung aus Fußgängerperspektive der Eindruck einer geschlossenen Dachfläche erhalten bleibt. So wurden den Dachgeschoßwohnungen im Brunnenstock zweiseitig verglaste Loggieneinschnitte zugeordnet, die über eine Breite von 2,80 m mit einer freispannenden Lamellenkonstruktion überlagert werden (Detailzeichnung im PDF-Format).

In den Dachgeschossen des Pfisterstockes wird die Belichtung der Büroflächen hingegen durch vertikale, zwischen Traufe und First der Norddachfläche durchlaufende Verglasungsschlitze gewährleistet (Detailzeichnung im PDF-Format). Die Ziegellamellen-Konstruktion erstreckt sich dabei sowohl über die geschlossenen als auch offenen Dachbereiche, sodass für den Betrachter von außen das homogene Bild einer geschlossenen Ziegeldeckung entsteht, während im Inneren angenehmes Zenitlicht für eine hervorragende Belichtung der Büroarbeitsplätze sorgt. Die Konstruktion der Ziegellamellen basiert in beiden Gebäuden auf der Verwendung so genannter Ziegel-"Baguettes" mit dreieckigem Querschnitt (Seitenlänge 150 bzw. 90 mm), die auf statisch tragenden Edelstahlrundrohren aufgefädelt sind, und die dann wiederum an entsprechenden Schwert-Konstruktionen in der Dachfläche montiert wurden.


Galerien in den oberen Geschossen unterstützen die Belichtung der Dachräume (siehe noch einmal Eingangsbild). Zusammen mit den oben beschriebenen, innovativen semitransparenten Ziegeldachkonstruktionen wird damit viel Licht in die Dachgeschosse transportiert und so die Nutzung zu Wohn- und Bürozwecken bis in die letzten Winkel ermöglicht. Der außergewöhnlich hohe Nutzwert dieser exponierten Lage rechtfertigt den beträchtlichen baulichen Aufwand.

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