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Bionik - Ingenieure und Architekten von der Natur inspiriert

(2.11.2008) Bionik macht sicht als interdisziplinäre Wissenschaft ganz unterschiedliche Konstruktionsprinzipien der Natur zunutze und gewinnt derzeit auch in der Architektur zunehmend an Bedeutung. Das „Vogelnest“, das Olympiastadion in Peking, beispielsweise hat nicht zuletzt seinen Spitznamen aufgrund der verwobenen Stahlkonstruktion erhalten. Dass sich Architekten von natürlichen Formen inspirieren lassen, ist nichts Neues. Neu ist indes, dass sie sich gemeinsam mit Naturwissenschaftlern daran machen, ihre Bauwerke auf technisch innovative Weise natürlichen Vorbildern wie Schmetterlingsflügeln oder auch Blattstrukturen nachzubauen.

Vogelnest - Olympia-Stadion der Olympischen Spiele in Peking

„Die Baubionik ist eine moderne Entwicklung in der Architektur, die in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erfahren hat. In Deutschland steckt sie mittlerweile schon nicht mehr in den Kinderschuhen“, konstatiert Prof. Stefan Schäfer vom Institut für Massivbau an der TU Darmstadt, einer der führenden Forscher in diesem Fachgebiet. „Allerdings hinkt die Genehmigung innovativer bionischer Bauten der Forschung meist weit hinterher.“

Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung

Bionik ist eine Wortkreation aus „Biologie“ und „Technik“. Die interdisziplinäre Wissenschaft macht sich die im Zuge der Evolution über Jahrtausende optimierten Tragkonstruktionen und Oberflächen der Natur zunutze. Einer der Pioniere der Bionik war der Ingenieur George de Mestral: Ihm war aufgefallen, dass sich im Fell seines Hundes regelmäßig Kletten verhakten. Er setzte die für Kletten typischen Häkchen zusammen mit passenden Schlaufen technisch um und lieferte damit das Patent für den Klettverschluss.

Im Bauwesen hat die Bionik beispielsweise die Fassadentechnik beeinflusst. Sie macht sich einen Effekt zunutze, der der Lotusblüte abgeschaut ist. Deren Oberfläche ist von einer Schicht feinster, dicht stehender Härchen überzogen, die die Blüte vor Schmutz schützt. Wassertropfen perlen rasch von den Blütenblättern ab und reißen dabei Schmutzpartikel mit.


Bild aus dem Beitrag "Lotusan jetzt mit TÜV-Zertifikat" vom 12.6.2006

An Gebäudefassaden, Dächern, Glasflächen und auch an Zeltkonstruktionen sind solche sich selbst reinigenden Oberflächen keine Seltenheit mehr. Da sie in der Herstellung teurer sind, gehören sie in der Baubranche aber noch nicht zum Standard - siehe aber auch Beitrag "Oberflächenveredelungen für das Haus, das sich selbst reinigt" vom 17.11.2005.

Doch das wird sich ändern, ist sich Schäfer sicher: „Der Gedanke der Nachhaltigkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung und damit auch die Einbeziehung der Kosten, die ein Gebäude im Laufe seines gesamten Lebenszyklus verursacht", konkretisiert der Darmstädter Architekt. "Und da bionische Oberflächen deutlich seltener gereinigt und gepflegt werden müssen, amortisieren sich die Kosten schon nach kurzer Zeit. In den nächsten Jahren wird sich diese Einsicht zunehmend verbreiten.“

Meister des Leichtbaus

Aber nicht nur Tricks in Sachen Sauberkeit kann sich die Baubranche von der Natur abgucken. Tiere und Pflanzen haben auch extreme „Leichtbauten“ von geradezu unglaublicher Stabilität hervorgebracht. Leichtbau gewinnt mit den knapper werdenden Energieressourcen zudem immer mehr an Bedeutung. In der Natur ist der Leichtbau weit verbreitet, Tragwerke wie Pflanzenstiele oder auch lnsektenflügel benötigen ein Minimum an Material bei optimiertem Kraftverlauf.

„Die Natur hat über Jahrtausende Erfahrungen in energiesparenden, beweglichen Konstruktionen und im Leichtbau gesammelt. Ingenieure können sich diesen evolutionären Prozess zunutze machen“, ist Schäfer überzeugt. Die Prinzipien des Leichtbaus hat u.a. die aus Südamerika stammende Riesen-Seerose Victoria amazonica perfektioniert. Ihre Blätter können Gewichte von bis zu 60 kg tragen. „Die Verzweigungsstrukturen dieser Blätter sind ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Versteifungsmaterialien nur dort eingesetzt werden, wo sie zwingend notwendig sind“, begeistert sich der Architekt.

Bäume dagegen haben mit ihren V-förmigen Astgabeln ein System entwickelt, das maximale Traglast bei bestmöglicher Abtragung von Spannungen garantiert, wie sie bei Wind verstärkt auf den Baum einwirken. Bei Gebäuden sind es solche wiederholten Spannungsspitzen, die längerfristig zu Rissen und Brüchen führen. Baumförmige, dem Kraftverlauf folgende Stützen können maximale Spannungen und damit auch den Materialverschleiß deutlich reduzieren. Das wiederum ermöglicht Architekten, etwa den Überbau von Brücken schlanker auszuführen. Das ist nicht nur ästhetischer, sondern spart auch Material, Energie und Baukosten.

Intelligente Bauwerke reagieren auf die Umwelt

Die meisten Bauwerke sind heutzutage meist statisch und passiv, das heißt, sie können ihr Tragverhalten nicht situationsabhängig ändern. Fernziel der Baubioniker sind jedoch intelligente, aktive Tragwerke, die Umwelteinflüssen und Belastungen Rechnung tragen können. "Heutige Brücken zum Beispiel sind auf permanente Maximallast ausgelegt, wodurch das Material relativ schnell verschleißt", erläutert Schäfer. "Intelligente Brücken dagegen könnten sich der jeweiligen Situation anpassen. Sie verstärken ihren Versteifungszustand nur bei Belastung, also wenn zum Beispiel ein Zug darüber fährt", blickt Schäfer in die Zukunft. "In Phasen minimaler Beanspruchung 'entspannen' sie."

So könnten seilgestützte Brücken die Länge ihrer Trageseile mit Hilfe computergesteuerter Pressen automatisch den jeweiligen Kräften anpassen. Durch den sinkenden Materialverschleiß wäre es im Umkehrschluss auch möglich, leistungsfähigere Bauwerke wie etwa Brücken mit größeren Spannweiten zu errichten.

Tatsächlich existieren bereits einige aktive, wandelbare Bauten, wie beispielsweise bewegliche Fußgängerbrücken in Duisburg und Kiel, oder auch bewegliche Dächer von Stadien und Sporthallen. „Doch damit sich die Baubionik etablieren kann und man nicht in den Zulässigkeitskriterien der Genehmigungsverfahren gefangen bleibt, müssen auch politische Anstrengungen unternommen werden“, fordert Schäfer. „Das wäre auch eine besondere Chance für die deutsche Baubranche, sich im internationalen Konkurrenzkampf zu profilieren.“

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