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Wohnungswirtschaft und Planer im Gespräch über die (vorgehängte) Fassade

(4.2.2013; BAU 2013-Bericht) Praxisorientierte technische Lösungen und dauerhafte Gestaltungsqualität für die Fassade der Zukunft als prägendes Element unserer Bauten und Stadtviertel - das waren die Inhalte des Pressegesprächs, zu dem der Fachver­band Baustoffe und Bauteile für vorgehängte hinterlüftete Fassaden e.V. (FVHF) auf der BAU eingeladen hatte. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion berichteten über Er­fahrungen mit Fassadensystemen in ihrer beruflichen Praxis und regten technische und normative Weiterentwicklungen an.

v.l.n.r.: Moderator Prof. Jan R. Krause, Diskussionsteilnehmer Snezana Michaelis, Hans-Otto Kraus, Prof. Andreas Hild, Prof. Dr. Karsten Tichelmann, FVHF-Vorstand Oliver Fröhlich 

Nach einführenden Worten von FVHF-Vorstandsmitglied Oliver Fröhlich diskutierten auf dem Podium zwei Vertreter der Wohnungswirtschaft – Snezana Michaelis, Leiterin des Zentralbereichs Technik der GBW Management GmbH, und Hans-Otto Kraus, Ge­schäftsführer der GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH. Der Einla­dung gefolgt waren auch Prof. Andreas Hild, Hild und K Architekten BDA, sowie Prof. Dr. Karsten Tichelmann, Tragwerksplaner an der TU Darmstadt. „Allen gemeinsam ist ein baukulturelles Interesse, ein hoher Anspruch, den sie mit ihren Arbeiten im Alltag be­legen. Es geht ihnen um mehr als reine Funktionserfüllung in der Fassade,“ stellte Jan R. Krause, Moderator der Veranstaltung, die Diskutanten vor.

Ästhetik und Stadtbild: Prägen und Aufwerten von Quartieren

Die Gestaltungsqualität sei Kernaufgabe der Fassade, so Karsten Tichelmann: „Alle technologischen Eigenschaften der Fassade sind hinfällig, wenn diese im Kontext der Bebauung nicht zu einer Verbesserung der Standortqualität, der Lebensqualität oder auch einer wirtschaftlichen Qualität führen kann.“ Dem stimmte auch Snezana Micha­elis zu, die auf Seiten der Wohnungswirtschaft ein großes Verantwortungsbewusst­sein für das Erscheinungsbild sieht: „Wir wollen nicht nur Gebäude errichten, die eine reine Funktion erfüllen - salopp formuliert 'quadratisch, praktisch, gut' - sondern wir leisten unseren Beitrag zur Stadtbildprägung, insbesondere dann, wenn wir im Eigen­tum ganzer Quartiere sind.“ Ihr Wunsch: „Im Idealfall geht der Spaziergänger entlang der Straße vorbei und sagt: 'Ja, finde ich schön, da würde ich gerne wohnen.'“

Steigende Ansprüche - steigende Kosten

Gleichzeitig wies Snezana Michaelis auf die finanzielle Lage und das enge „Kosten-Kor­sett“ der Wohnungsbaugesellschaften hin: „Einem immer steigenden Anspruch an den technischen Standard stehen entsprechend höhere Kosten gegenüber, aber kein hö­herer Ertrag zur Refinanzierung derselben.“ Beispielhaft dafür sei das Nutzer-Investor-Dilemma bei der energetischen Sanierung: „Wir tätigen die Investition, wir sind aber nicht Nutznießer der Ersparnis,“ denn diese komme in Form niedrigerer Heizkosten aus­schließlich den Mietern zugute.

Ebenfalls kritisch gegenüber den gesetzlich geforderten Dämm-Standards zeigte sich Hans-Otto Kraus, „weil die zusätzliche Dämmung im Verhältnis mehr Geld kostet, als sie in Wirklichkeit an Energieersparnis bringt. Also muss man versuchen, die Fassaden­konstruktion auf eine andere Art und Weise zu optimieren.“ Daher forderte er eine ge­samtheitliche Strategie: „Das Heil liegt nicht darin, die Dämmung allein zu verbessern, sondern dass man das insgesamt im architektonischen Sinne betrachten und pflegen muss.“

Ein gesamtheitlicher Blick auf das Gebäude

Die Gesprächspartner waren sich einig, dass Fassaden nicht getrennt von dem dahin­terliegenden Rohbau betrachtet werden können. Hans-Otto Kraus betonte, als Bau­herr darauf zu achten, „dass das eine Gesamtkonstruktion wird, die in vielerlei Hinsicht stimmig ist, also konstruktiv, wie auch ästhetisch und natürlich funktional.“ Aus seiner Praxis als Ingenieur erläuterte Karsten Tichelmann die starke Wechselwirkung zwi­schen Baukonstruktion und Außenseite: „Die Fassade wird sehr schnell als etwas dis­kutiert, was als 'Add-On', als Haut darüber gezogen wird. Es gibt aber eine wesentli­che Interaktion zu dem was dahinter ist: da kann weniger sein, das kann wirtschaft­licher ausgeführt werden.“

Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit

Für die Fassade der Zukunft ist eine langfristige, nachhaltige Betrachtung erforder­lich - nicht zuletzt, um die Gesamtkosten zu reduzieren. Zu betrachten „welche Kos­ten an welcher Stelle sinnvoll in unseren Bauprozess eingehen,“ regte Andreas Hild an. „Es gilt der Grundsatz, dass das was wir heute bauen mindestens 50 Jahre steht und funktioniert, ohne dass wir noch außerhalb in Instandhaltung Geld investieren müs­sen,“ so die Überlegungen von Hans-Otto Kraus. Um zu vermeiden, dass folgende Ge­nerationen kurzlebige Systeme aufwändig sanieren müssen, stelle sich die Frage, „wie wir es schaffen, Konstruktionen zu erstellen, die keinen massiven Eingriff schon nach 20 oder 30 Jahren erforderlich machen.“ Seinen Anspruch brachte Hans-Otto Kraus wie folgt auf den Punkt: „Man soll Gebäude so erstellen, dass sie in Würde altern kön­nen.“

„Im Bereich der Nachhaltigkeit betrachten wir Gebäude eher im Zyklus von 80 Jahren,“ ergänzte Karsten Tichelmann, „wir wissen aber genau, dass die großen, attraktiven und die baukulturell bedeutsamen Gebäude wesentlich älter sind.“ In diesem Zusam­menhang unterstrich der Ingenieur die Rolle dauerhafter Fassadenkonstruktionen, „die einen maßgeblichen Beitrag dazu leisten, dass diese Gebäude heute überhaupt noch stehen.“

Kosten – eine Frage der Betrachtungsweise

Mit seiner Vision zur Berechnung von Baukosten und Einsparung von CO₂ ließ Andreas Hild aufhorchen. Er diagnostizierte eine Entscheidung der Gesellschaft, bestimmte ge­meinschaftliche Ausgaben nicht zu bewerten: „Es könnte sein, dass unsere Kosten­rechnungen nicht stimmen, zum Beispiel im Umbaubereich. Wenn ich ein Haus abbre­che, vernichte ich eine ganze Menge 'grauer Energie'. Würde diese 'graue Energie' in irgendeiner Art und Weise in der Kostenrechnung auftauchen, würden sich sämtliche Kosten, die wir an einem Gebäude heute rechnen ganz anders darstellen.“

Andreas Hilds Vorschlag lautete daher: “Eine 'graue Energie'-Umlage. Wenn ich ein Haus nach 30 Jahren anstatt nach 100 Jahren abreiße, müsste ich die Kosten für die 'graue Energie', die in dem Haus steckt in einen Fonds zahlen. Dann würde schlagartig nichts mehr abgebrochen werden und man würde umbauen.“

In diesem Zusammenhang berichtete Oliver Fröhlich von den Rückbaumöglichkeiten, die vorgehängte hinterlüftete Fassaden am Ende des Lebenszyklus eines Gebäudes bieten: „Es wurden schon Fassaden von einem Giebel demontiert - übrigens in Woh­nungsbauten – und an anderen Giebeln wieder angebracht. Das geht mit einem Wär­medämmverbundsystem nicht, mit einer vorgehängten hinterlüfteten Fassade geht das schon, die ist modular.“

Modulare Systeme: wirtschaftlich und praxisnah

Mit Beispielen aus seiner Arbeit zeigte Karsten Tichelmann Antworten auf den Kosten­druck, unter dem die meisten Bauvorhaben heute stehen. Bei Studentenwohnheimen kämen vorgehängte hinterlüftete Fassaden häufig zum Einsatz, „weil dort das Thema der Vorfertigung, der Elementierung eine Rolle spielt, weil man mit modulartigen Bau­weisen operiert und in kurzer Zeit unter möglichst wirtschaftlichen Bedingungen Ge­bäudekonstruktionen erstellen muss.“

Daran schloss sich der Apell von Hans-Otto Kraus an, der die Industrie zu Innovatio­nen mit starkem Praxisbezug mahnte: „Es müsste Systeme geben, die in sich stimmig sind und so modular aufgebaut, dass wir die Chance haben, Baukosten zu sparen.“

Wünsche an die Fassade der Zukunft

Zum Abschluss der Diskussion formulierten die Teilnehmer ihr dringendstes persönli­ches Anliegen an die künftige Weiterentwicklung der Fassade. Snezana Michaelis wies darauf hin, dass „die Fassade der Zukunft auch für uns, die wir unser Geld mit Vermie­tung verdienen, finanzierbar sein sollte,“ um sie möglichst breit einsetzbar zu machen und durch gestalterische Möglichkeiten „Gebäude zu Klassikern zu erheben.“ Andreas Hilds Wunsch nach „Fassaden, die mit dem Gebäude zusammen eine Einheit bilden, im Sinne von Inhalt und Form“ ergänzte Karsten Tichelmann mit seinem Plädoyer für „ge­stalterisch hochwertige und ästhetische Fassaden.“ Daran schloss sich der Apell von Hans-Otto Kraus an, der die Industrie zu Innovationen mit starkem Praxisbezug mahnt. Als Ziel der Forschung wünscht er „,kostengünstig, funktional passend und äs­thetisch akzeptabel etwas zu erreichen, denn dann gibt es die Chance mit den aktu­ellen Mitteln die richtigen Lösungen zu finden.“

Das Gespräch reiht sich in die Folge der Veranstaltungen des FVHF anlässlich des Ju­biläumsjahres 2013, die der 13. Fassadentag vergangenen November einläutete. In­haltlich eng verknüpft ist der folgende 14. Fassadentag, der am 16. Mai in Heidelberg stattfindet. Dort werden die auf der BAU diskutierten Themenfelder weiter behandelt und erste Antworten auf die drängenden Zukunftsfragen erörtert.

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