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Bericht von der Internationalen Passivhaustagung 2013

(2.5.2013) „Das Passivhaus als Fundament für die Energiewende“ - unter diesem Motto versammelten sich mehr als 1.000 Experten für energieeffizientes Bauen am 19. und 20. April in Frankfurt am Main. Ob zukunftsfähige Sanierungen, smarte Haustech­nik oder Konzepte für verschiedene Klimaregionen, auf der 17. Internationalen Passiv­haustagung ging es um das gesamte Spektrum des Bauens. Die im Vorfeld aufgewor­fene Frage, ob sich die Gesellschaft den Passivhaus-Standard überhaupt leisten kön­ne, war in der Runde schnell beantwortet.

Plenumssitzung der Internationalen Passivhaustagung 2013 in Frankfurt am Main 

Kein Luxus, sondern eine Lösung für die breite Anwendung: Gerade wegen seiner Wirt­schaftlichkeit hat sich das Passivhaus zumindest in Frankfurt am Main fest etabliert. Die Frage sei die, ob man es sich noch leisten könne, darauf zu verzichten, sagte der Bürgermeister und Planungsdezernent Olaf Cunitz im Plenum der Tagung. Diese Über­zeugung teilen in der „Passivhaus-Hauptstadt“ auch die Verantwortlichen bei der größten städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Als Geschäftsführer der ABG Holding Frankfurt GmbH berichtete Frank Junker vor den Gästen aus aller Welt von guten Bi­lanzen mit mehr als 1.600 Wohnungen in der energieeffizienten Bauform.

Als Gastgeber der internationalen Tagung untermauerte die Stadt Frankfurt am Main an vielen Beispielen ihre Vorreiterrolle in der Passivhaus-Entwicklung. Doch sowohl die Herkunft der Teilnehmer als auch die Inhalte der Vorträge zeigten, dass sich der Bau-Standard bereits über alle Grenzen hinweg durchsetzt. Im Rahmen von mehreren EU-Projekten wurden wichtige Impulse gesetzt. Neben Vertretern aus fast allen europäi­schen Staaten reisten größere Delegationen auch aus Nordamerika und Asien an. „Im Fokus der Vorträge und Poster-Präsentationen standen jeweils belegte Erfahrungen aus umgesetzten Projekten“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Feist, Leiter des Passivhaus In­stituts.

In 16 Arbeitsgruppen wurden im Frankfurter Congress Center aktuelle Trends und Er­gebnisse diskutiert. Thematische Schwerpunkte waren dabei u.a. energetische Sanie­rungen und die Kombination des Passivhauses mit erneuerbaren Energien. Angesichts zunehmender Bauprojekte außerhalb Mitteleuropas standen auch die Anforderungen an das Passivhaus in verschiedenen Klimaregionen auf der Tagesordnung. Ergebnisse lieferten die Referenten unter anderem aus Estland und Mexiko, aus Neuseeland und Sizilien.

Søren Peper vom Passivhaus Institut beim Vortrag über Schwimmbäder im Passivhaus-Standard. 

Kritisch gegenüber Plusenergie- und energie-autarken Häuser

Großes Interesse galt auf der Passivhaustagung dem Thema „Nachhaltigkeit“. Deutlich wurde dabei, dass eine energieeffiziente Bauweise hier die unverzichtbare Grundlage ist. Hintergrund dieser Diskussionen war nicht zuletzt das Ziel der Europäischen Ge­bäuderichtlinie, das „Nearly Zero Energy Building“ künftig als Standard im Neubau zu etablieren. Konzepte wie das Plusenergiehaus oder „vermeintlich energie-autarke Häu­ser“ wurden überwiegend kritisch betrachtet. Das Passivhaus spiele mit seinem geringen Energiebedarf die tragende Rolle, betonte Dr. Werner Neumann, Leiter des Energiereferats der Stadt Frankfurt.

Ein ganzer Stadtteil im Passivhaus-Standard

Dass dies nicht nur für Einzelgebäude, sondern auch für ganze Stadtteile gelten kann, demonstrierten Ralf Bermich und Robert Persch vom Umweltamt Heidelberg. Auf dem Gelände eines ehemaligen Güterbahnhofs wird in der Universitätsstadt derzeit auf 116 Hektar die neue „Bahnstadt“ errichtet - komplett im Passivhaus-Standard. In wenigen Jahren sollen etwa 12.000 Menschen in dem neuen Stadtteil wohnen und arbeiten. Die Energieversorgung soll mittelfristig komplett über Erneuerbare erfolgen.

Modell eines in China geplanten Fabrikgebäudes im Passivhaus-Standard. 

Ein Großprojekt ganz anderer Art wurde in der begleitenden Passivhaus-Ausstellung in der Messe-Halle 5.0 präsentiert: In der nordchinesischen Stadt Harbin ist der Bau eines der weltweit ersten Fabrikgebäude nach den strengen Kriterien des Effizienz-Standards geplant. Im Modell war die beeindruckende Anlage bereits zu sehen: 5.000 m² Bürofläche und eine Produktionshalle von etwa 20.000 m² sind hier vorgesehen. „Es freut uns ganz besonders, dass auch dort, wo gerade sehr viel gebaut wird, das Interesse am Passivhaus wächst“, sagt der Bauphysiker Feist.

Dass sich der Passivhaus-Standard in immer mehr Regionen durchsetzt, liegt wesent­lich an der zunehmenden Verfügbarkeit von energetisch hochwertigen Baukomponen­ten. Viele davon wurden aktuell im Ausstellungsbereich zur Tagung präsentiert - da­runter zum Beispiel Fenster, die auch in sehr kaltem Klima den Anforderungen stand­halten, besonders leichte Mehrscheibenverglasung und verschiedene Lüftungsgeräte mit Wärmerückgewinnung. Insgesamt zeigten etwa hundert Aussteller in Frankfurt am Main ihre neuesten Produkte.

Etwa hundert Aussteller zeigten am Rande der Passivhaustagung neue Produkte für energieeffizientes Bauen. 

"Schritt für Schritt zum ‚Nearly Zero Energy Building"

Der Einsatz solcher Produkte bei Sanierungen wird mit dem zur Tagung gestarteten EU-Projekt EuroPHit vorangebracht. Dabei sollen klare Richtlinien für die einzelnen Schritte im Verlauf von Altbau-Modernisierungen aufgestellt und die beteiligten Ak­teure noch besser miteinander verknüpft werden. „Auf diese Weise kommen wir auch bei Sanierungen Schritt für Schritt zum ‚Nearly Zero Energy Building’“, sagt Jan Stei­ger, der das Projekt vom Passivhaus Institut in Darmstadt aus koordiniert.

Voraussetzung für die breite Umsetzung des Passivhaus-Standards sind neben den Komponenten aber auch entsprechende Bildungsangebote - für Architekten ebenso wie für Handwerker. Seit der ersten Prüfung zum „Zertifizierten Passivhaus-Planer“ im Jahr 2007 haben mehr als 3.000 Personen diese Zusatzqualifikation erworben. Seit gut einem Jahr wird vom Passivhaus Institut sowie über externe Kursanbieter in ähnlicher Form auch das notwendige Spezialwissen für die Baustelle vermittelt. Auf der Tagung wurde eine Reihe von Zertifikaten für „Passivhaus-Handwerker“ feierlich überreicht. Zur weiteren Vertiefung der Inhalte gab es zudem ein Handwerkerforum mit beson­ders praxisnahen Vorträgen.

Die Notwendigkeit einer breiten Umsetzung von Effizienzmaßnahmen beim Bauen und Sanieren betonte in Frankfurt am Main auch die Architekten-Initiative „Neues Bauen in Zeiten von Energiewende und Klimawandel“. Bauen habe nicht nur einen erheblichen Einfluss auf die Nutzung und Gestaltung der gebauten Umwelt. Die Lebensbedingungen auf der Erde würden dadurch verändert, heißt es in einem Memorandum. Hierfür müss­ten alle am Bau Beteiligten Verantwortung übernehmen - und zwar auch dann, wenn die notwendigen Schritte noch nicht in Gesetzen und Verordnungen gefordert seien.

Innenstadtnahes Wohnen im Passivhaus – Exkursionsziel „Scheffelhof“. 

Eine attraktive Anlagemöglichkeit

Mehr als ein Drittel der in Europa verbrauchten Energie fließt in den Betrieb von Ge­bäuden, vor allem in die Beheizung. Mit Passivhaus-Technik kann dieser Verbrauch um 90 Prozent reduziert werden. Die Investitionen sind in wenigen Jahren durch ein­gesparte Energiekosten ausgeglichen. Die Verbesserung der Gebäude-Effizienz ist da­mit nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Energiewende, sondern für jeden Bauherren ei­ne attraktive Anlagemöglichkeit.

Während EuroPHit zur Passivhaustagung gerade gestartet wurde, liefert ein anderes EU-Projekt bereits konkrete Ergebnisse: PassREg - Passive House Regions with Re­newable Energies. Unter dem Motto „Bauen für die Energiewende“ werden mit dem PassREg Vorreiterregionen untersucht, die erfolgreich Effizienzkonzepte unter Einsatz von Erneuerbaren umgesetzt haben. Die Erfahrungen und Lösungen werden an andere Regionen weitergegeben und an die dort herrschenden Bedingungen angepasst. Über aktuelle Entwicklungen tauschten sich die PassREg-Partner aus den teilnehmenden Ländern bei einem Treffen unmittelbar vor der Passivhaustagung aus - siehe auch Baulinks-Beitrag „PassREg: 'Passive House Regions with Renewable Energy'“ vom 29.5.2012.


Prof. Dr. Wolfgang Feist (Bild vergrößern)
  

„Effizienz ist der Schlüssel zum Erfolg der Energiewende“, be­tont Prof. Dr. Wolfgang Feist. Der Grund ist einfach: Energie, die gar nicht erst verbraucht wird, muss nicht aus mehr oder minder problematischen Quellen erzeugt werden. „Wenn es uns gelingt, die Energieeffizienz von Gebäuden flächendeckend auf Passivhaus-Niveau zu erhöhen, ist auch bei weltweit wach­sendem Wohlstand eine nachhaltige Versorgung möglich“, so Feist.

„Passive House Award 2014“ ausgelobt

Dass aktuelle Erfolge beim energieeffizienten Bauen nicht oh­ne die Leistungen ambitionierter Vorreiter möglich wären, wird auf der Internationalen Passivhaustagung traditionell mit dem „Pioneer Award“ gewürdigt. In diesem Jahr ging der Preis an ein dänisches Nullenergiehaus, das bereits in den 70er Jahren von Vagn Korsgaard und Torben Esbensen errichtet wurde. Zur Würdigung von Vorreitern der Gegenwart wurde zum Abschluss der Tagung ein neuer Wettbewerb für Architekten und Planer ausgelobt – der „Passive House Award 2014“.

Gelungene Praxis-Beispiele in der Frankfurter Region konnten Teilnehmer der Interna­tionalen Passivhaustagung am Sonntag, den 21. April im Rahmen von Exkursionen be­sichtigen. Neun ganztägige Touren mit verschiedenen Schwerpunkten standen zur Auswahl. Gezeigt wurden vorbildlich umgesetzte Sanierungsprojekte und Neubauten, darunter einige der zahlreichen Frankfurter Passivhaus-Schulen. Aber auch mehrere Bürogebäude, Reihenhäuser und Beispiele aus dem Sozialwohnungsbau standen auf dem Programm.

Die vom Passivhaus Institut veranstaltete Passivhaustagung findet seit 17 Jahren an wechselnden Orten statt. In Frankfurt am Main war sie nach 2009 bereits zum zwei­ten Mal zu Gast. Begleitet wird die internationale Tagung in der Regel von verschiede­nen Workshops und Seminaren – von einem Basics-Kurs für „Einsteiger“ ebenso wie von Angeboten für Spezialisten wie etwa Fensterherstellern. Die 18. Internationale Passivhaustagung ist für den 25. und 26. April 2014 in Aachen geplant.

siehe auch für zusätzliche Informationen:

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