Baulinks -> Redaktion  || < älter 2013/1010 jünger > >>|  

Bericht vom Internationalen Gründach-Kongress 2013

(6.6.2013) Mehr als 250 Teilnehmer aus über 40 Ländern nutzten die Plattform des dritten Internationalen Gründach-Kongresses (13.-15. Mai), um sich in Hamburg über die Zukunftstrends der Dach- und Fassadenbegrünung auszutauschen. Zu den beson­deren Highlights der Veranstaltung gehörte die Vergabe des IGRA Green Roof Leader­ship Awards sowie der Auftritt des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz, der erstmalig die Planungen für die neue Gründach-Strategie Hamburgs öffentlich vorstellte.

Zu dem dreitägigen, fach- und länderübergreifenden Informationsaustausch unter der Schirmherrschaft des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Pe­ter Ramsauer, hatten die International Green Roof Association (IGRA) und der Deut­sche Dachgärtner Verband (DDV) die Gründach-Branche nach Hamburg eingeladen. Vor dem Hintergrund der ebenfalls in Hamburg stattfindenden Events Internationale Gartenschau (IGS) und Internationale Bauausstellung (IBA) und der damit verbunde­nen Präsentation spektakulärer Landschaftsgestaltung und innovativer Wohnkonzepte gab es in diesem Jahr keinen passenderen Ort, um eine aktuelle Standortbestimmung der Dachbegrünung auf internationaler Ebene durchzuführen und zukünftige Anwen­dungsgebiete zu identifizieren.

Die grüne Stadt am Wasser kann zudem auf eine jahrzehntelange Tradition im Bereich der Dachbegrünung zurückblicken. Am ersten Kongresstag machten sich deshalb mehr als 100 Exkursionsgäste in zwei Bussen auf den Weg, um verschiedene Gründach-Re­ferenzprojekte in der Region Hamburg zu erkunden. Eine 70 Jahre alte Siedlung mit be­grünten „Norwegerhäusern“ im Hamburger Nordosten wurde genauso besichtigt, wie eine Kindertagesstätte mit extensiver Schrägdach-Begrünung. Zum Programm gehör­ten auch grüne Innenhofoasen auf Tiefgaragendecken sowie die als Mitarbeitertreff­punkt und Eventfläche genutzte Dachterrasse des Unilever-Gebäudes in der Hafencity und auch der Neubau der Gorch-Fock-Schule, auf dessen Dachfläche sich die Lauf­bahn eines Sportplatzes befindet. Kamerateams des ZDF, NDR und RBB begleiteten die Gründach-Exkursionen und sorgten dafür, dass das Dachbegrünungsthema neben der Fachwelt auch Millionen von Fernsehzuschauern erreichte.

Kongress auf Exkursion 

Die offizielle Begrüßung der Teilnehmer durch die Veranstalter und Kooperationspartner fand im Rahmen eines abendlichen „Get together“ im Tagungsort Hotel Empire River­side statt. Senatorin Jutta Blankau von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) der Stadt Hamburg, August Forster Präsident des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL), Ilya Mochalov Generalsekretär der Internatio­nal Federation of Landscape Architects (IFLA) und die Präsidenten der beiden gastge­benden Verbände Roland Appl (IGRA) und Reimer Meier (DDV) stellten in ihren Gruß­worten die Bedeutung begrünter Dächer für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Stadtentwicklung in den Fokus. Bis weit in den Abend hinein gab es anschließend leb­hafte Diskussionen, alte Freunde wurden begrüßt und neue Kontakte geknüpft.

Das von der amerikanischen Gründach-Expertin Linda Velazquez moderierte Vortrags­programm an den beiden folgenden Kongresstagen lieferte den mehr als 250 Teilneh­mern einen Einblick in die bunte Gestaltungs- und Nutzungsvielfalt der Gebäudebegrü­nung. Für die Keynote-Präsentationen des ersten Vortragstages wurden gezielt Gene­ralisten aus der Architekten-, Landschaftsarchitekten-, Stadtplaner- und Gründach­branche eingeladen, die über den Tellerrand ihrer Spezialgebiete hinausschauen und Synergien zu anderen Disziplinen suchen.

  • IGRA-Präsident Roland Appl gab mit seinem Vortrag „Dachbegrünung Quo Va­dis?“ ein wichtiges Leitmotiv des Kongresses vor. So wird das Thema Dachbe­grünung in Deutschland häufig auf die ökologischen Wertigkeiten von Exten­siv­begrünungen reduziert und schafft es dadurch nicht, das Kreativpotential der Ar­chitektenbranche zu aktivieren.

  • Die Gebäude des singapurischen Architekten Wong Mun Summ „atmen“ (Bild von WOHA vergrößern).
      
    Dass Grünflächen auf Dächern auch viel mit Spaß, Le­bensqualität und der Gestaltung von Erlebnisräumen für Menschen zu tun haben, demonstrierte der dänische Ar­chitekt Jakob Lange (Bjarke Ingels Group - BIG) in seinen Vortrag „Green is the New Black“. Das mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Archi­tekturbüro dem Begriff der „Hedonistischen Nachhaltigkeit“ verpflichtet.
  • Der singapurische Architekt Wong Mun Summ (WOHA) stellt ebenfalls die Bedürfnisse und Wünsche der Gebäu­debewohner in den Fokus seiner Begrünungsphilosophie „Breathing Architecture“.
  • Im übertragenen Sinn gilt das auch für die urbanen Was­serlandschaften des Städtedesigners und Landschafts­architekten Prof. Herbert Dreiseitl (Atelier Dreiseitl), die Regenwasser als Lebenselixier und natürlichen Klimapuf­fer in den öffentlichen Raum zurückbringen und erlebbar machen. Seine Ansätze für ein integriertes Siedlungs­wassermanagement binden dabei den Regenwasserrück­halt begrünter Dächer als wichtigen Baustein mit ein.
  • Den Abschluss der inspirierenden Vormittagsrunde bilde­te die Präsentation von Prof. Dr. Manfred Köhler, der die Technik traditioneller und neuartiger Fassadenbegrünungsysteme und deren Möglichkeiten und Grenzen thematisierte.

Am Nachmittag trennten sich die Kongressteilnehmer nach Interessenschwerpunkten in zwei parallele Workshops auf. Diese wurden, wie alle anderen Vorträge auch, simul­tan ins Deutsche bzw. Englische übersetzt, um einen intensiven Erfahrungsaustausch zu gewährleisten.

Workshop 1 „Praxiserfahrung Dachbegrünung“

... gab Einblick in die Planung, Ausführung und Pflege begrünter Dächer. Gleichzeitig wurden neue Forschungsergebnisse und technische Innovationen präsentiert. Dass das Thema Dachbegrünung noch lange nicht ausgeforscht ist, belegten aktuelle For­schungsergebnisse aus den Niederlanden (Prof. Christoph Maria Ravesloot, Universität Rotterdam) und einer dreijährigen Kooperation zwischen der Universität Sheffield und dem deutschen Gründach-Systemhersteller ZinCo GmbH (EU-Forschungsprojekt „Green Roof Systems“, Ralf Walker, ZinCo GmbH). Beachtung fand dabei das neue Gründach-System „Naturline“, das aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt wird und von ZinCo Geschäftsführer Dieter Schenk präsentiert wurde.

Workshop 2 „Gründachförderung – Strategien der Stadtplanung und Wasserwirtschaft“

... wurde von Prof. Wolfgang Dickhaut moderiert und in Kooperation mit der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) und der HafenCity Universität Hamburg (HCU) durchgeführt. Er thematisierte die Frage, wie der nachhaltige Umbau der Stadt des 21. Jahrhunderts gelingen kann. Als wachsende Metropole mit einem jährlichen Bau­volumen von 6.000 Wohneinheiten und den umfangreichen Stadtentwicklungsprojek­ten HafenCity und Wilhelmsburg besitzt diese Thematik für Hamburg eine besonders große Bedeutung. Als Lösungsansatz für den Konflikt zwischen Nachverdichtung und dem Erhalt bzw. der Verbesserung der städtischen Umweltqualität bietet sich die Be­grünung der Dachflächen geradezu an. Um von den Erfahrungen anderer Kommunen in diesem Bereich zu profitieren, hatten die Veranstalter Experten aus Portland, Chi­cago, Kopenhagen, London und Linz eingeladen. Ein zweiter Schwerpunkt des Work­shops befasste sich mit der Berücksichtigung begrünter Dächer bei der Neuplanung von Siedlungsentwässerungsmaßnahmen.

IGRA Green Roof Leadership Award

Den Abschluss des ersten Kongresstages bildete die Preisverleihung des IGRA Green Roof Leadership Award - einer Auszeichnung für besonders vorbildhafte Gründach-Projekte und Initiativen. Als Preisträger wurden ausgezeichnet ...

Bild: Perkins+Will 

Das spektakuläre Gebäude, dessen Dachflächen Orchideenblättern nachempfunden sind (gut bei Google-Maps zu sehen, wenn man näher heranzoomt), stellt ein Leucht­turm-Projekt im Bereich der Nachhaltigkeit und Landschaftsintegration dar.

Loading the player ...
Zeitrafferfilm zur Dachbegrünung des Besucherzentrums (Thumbnails für eine schnelle Inhaltsübersicht)

Einen weiteren Award erhielt die Stadt Portland/Oregon in Person von Amy Chomo­wicz, die als Ecoroof Managerin gemeinsam mit ihrem Team herausragende Programme und Initiativen zur Förderung von Dachbegrünungen initiiert hat.

Die dritte Auszeichnung ging an die türkische Firma Onduline Avrasya für das Projekt Zorlu-Center in Istanbul. Gemeinsam mit den beteiligten Bauherren, Architekten und Landschaftsarchitekten sorgt die Firma im Großraum Istanbul dafür, dass bei neuen Einkaufszentren Grund und Boden nicht einfach nur verbraucht wird, sondern durch die Schaffung von Naturlandschaften auf den Dächern der Gewerbeimmobilien erleb­bares „Grün“ ins Stadtzentrum zurückgebracht wird.

Auch der zweite Kongresstag

... lieferte ein abwechslungsreiches Potpourri an Präsentationen rund um das Thema Gebäudebegrünung. Den Anfang machte Martin Haas vom Architekturbüro haascook­zemmrich/Studio2050, der seine Ideen und Konzepte für eine neue Nachhaltigkeitsar­chitektur erläuterte, die sich nicht ausschließlich über die energetischen Parameter definiert.

Der amerikanische Green Building Pionier Peter Busby (Perkins+Will), tags zuvor noch für das VanDusen-Projekt ausgezeichnet, erläuterte den Teilnehmern an diesem Ge­bäude die Verbindung von Natur und Architektur, die in der Philosophie des regene­rativen Designs mündet. Beide Präsentationen lieferten zahlreiche Ansatzpunkte für die sich anschließende Podiumsdiskussion „Bauen mit Natur“ mit Peter Busby, Martin Haas, Heiner Baumgarten (Geschäftsführer der internationalen Gartenschau), Wong Mun Summ, Prof. Manfred Köhler Roland Appl (v.l.n.r. im folgenden Bild):

Die hochkarätige Runde beschäftigte sich mit aktuellen Fragestellungen zur Berück­sichtigung von Dach- und Fassadenbegrünung bei Green Building Zertifikaten, der Ver­wirklichung von Gebäude-Begrünungsmaßnahmen im Bestand und der Bewertung des Stadtgrüns durch die Kommunen. Insbesondere die Tatsache, dass der Begriff „Green Building“ keinen Automatismus für die Einbindung von Dach- und Fassadenbegrünun­gen bedeutet und die Vorteile der Gebäudebegrünung in den gängigen Green Building-Bewertungssystemen LEED, BREEAM und DGNB nur unzureichend berücksichtigt wer­den, sorgte für Diskussionsstoff. Dabei waren sich die Teilnehmer des Panels schnell einig, dass die wissenschaftlichen Belege zu den positiven Auswirkungen der Dach- und Fassadenbegrünung auf Gebäude, Mensch und Umwelt ausreichend sind und es aktuell nur an der Implementierung dieser Fakten in die Bewertungssysteme mangelt. Hier besteht Handlungsbedarf durch eine engagierte Lobbyarbeit der Gründach-Bran­che bei den jeweiligen Zertifizierungsgremien.

Erster Bürgermeister Olaf Scholz verkündet Gründach-Strategie der Stadt Hamburg

Welchen Schwung das Thema Dachbegrünung nehmen kann, wenn die politischen Entscheidungsträger die Weichenstellung in die Hand nehmen, machte der Erste Bür­germeister der Stadt Hamburg, Olaf Scholz, in seinem Grußwort an die Teilnehmer des Kongresses deutlich. Für seine Zukunftsvision einer lebendigen Dachlandschaft mit Grün- und Erholungsqualitäten hat er die Entwicklung einer umfassenden kommunalen Gründach-Strategie in Auftrag gegeben. Dabei sollen die Dachflächen, je nach Eignung und Bedarf, als Freizeitbereiche, Ruhezonen, soziale Treffpunkte, Regenwasserspei­cher oder Klimawandelanpassungsmaßnahmen aktiviert werden. Hamburg übernimmt damit bundesweit eine Vorbildfunktion für die Einbindung begrünter Dächer zum Erhalt und Ausbau der grünen Infrastruktur.

Komplettiert wurde das Vortragsprogramm des zweiten Kongresstages durch Projekt­vorstellungen aus den Niederlanden, Russland, Polen, Deutschland, Singapur und der Türkei. Mit der Ankündigung des 4. Internationalen Gründach-Kongresses, der 2015 in Istanbul stattfinden wird, schloss sich der Kreis. In der explosiv wachsenden 14-Mil­lionen Metropole am Bosporus steht die Stadtplanung vor enormen Herausforderungen. Es wird spannend sein, zu sehen, welche Rolle die Dach- und Fassadenbegrünung bei der Entwicklung einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Stadtentwicklung an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien spielen kann.

siehe auch für zusätzliche Informationen:

Kooperationspartner:

Impressum | Datenschutz © 1997-2024 BauSites GmbH