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Interview: Unklare Anforderungen für NRWGs bergen Haftungsrisiken für den Planer

(31.10.2014) Die Bauproduktenverordnung (BauPVO) ist zwar schon seit dem 1. Juli 2013 verbindlich, doch gibt es immer noch viele Unsicherheiten und offene Fragen bei ihrer Anwendung. Eigentlich sollte diese Verordnung das Inverkehrbringen von Baupro­dukten und ihren freien Warenverkehr im EU-Wirtschaftsraum erleichtern. Ziel war es, mit vereinheitlichten technischen Spezifikationen harmonisierte Leistungsangaben bei Bauprodukten zu schaffen, welche für den Anwender die Vergleichbarkeit vereinfa­chen. Problematisch ist aber, dass die geforderten Leistungserklärungen nicht immer vollständig ausgefüllt sind und damit einerseits ein Vergleich erschwert wird, anderer­seits enorme Risiken für den Planer entstehen.

Dipl.-Ing. Maik Schmees, Technischer Leiter der D+H Mechatronic AG
Dipl.-Ing. Maik Schmees
  

Zur gegenwärtigen Situation im Umgang mit der BauPVO am Beispiel der Natürlichen Rauch-und Wärmeabzugsgeräte (NRWG) hat Dipl.-Ing. Maik Schmees, Technischer Leiter der D+H Mechatronic AG, uns einige Fragen beantwortet:

Frage: Herr Schmees, die BauPVO hat so manches vereinfacht. Welche Vorteile hat uns das gebracht?

Schmees: Ein Vorteil ist ganz sicher, dass die Leistungser­klärung genutzt werden kann, um sich schon im Vorwege, al­so schon bevor ein Handel überhaupt getätigt wurde, über die Leistung eines Produktes zu informieren. Ähnlich wie beim Energielabel des Kühlschranks: Der Kunde hat damit die Mög­lichkeit, ganz einfach die Leistungen zu vergleichen.

Frage: Und doch besteht eine große Unsicherheit bei den Anwendern dieser Verordnung. Woher kommt das?

Schmees: Es hat eine Vereinfachung stattgefunden, aber nicht nur zum Guten: Pro­blematisch ist die Möglichkeit der Hersteller, selber zu entscheiden, welche wesentli­chen Merkmale geprüft und dann in der Leistungserklärung bescheinigt werden. Damit kann dieser ein Produkt in Verkehr bringen, das formal korrekt ein CE-Kennzeichen trägt, aber für den jeweiligen Anwendungszweck ggf. nicht geeignet ist. Der Planer schließlich trägt die volle Verantwortung für die Auswahl eines Bauproduktes und da­für, dass die deklarierten Werte des Leistungsverhaltens des NRWGs die für die jewei­lige Anwendung (z.B. auch klimatische Anforderungen) erforderlichen Werte erfüllen. Daher muss dieser bei Ausschreibungen noch intensiver als bisher prüfen, ob Baupro­dukte für die Verwendung in einem Bauwerk überhaupt geeignet sind.

Frage: Was kann passieren bei einer unvollständigen Leistungserklärung?

Schmees: Wenn ein solches Gerät nicht vollumfänglich geprüft ist, kann das fatale Folgen haben: Zum Beispiel, dass sich im Brandfall ein NRWG oder eine Gruppe von NRWGs unter einer Schneelast einfach nicht öffnet, der Rauch nicht abziehen kann und dadurch Menschleben gefährdet und Sachwerte vernichtet werden. In diesem Fall würden Gerichte prüfen, ob ein Planer das Produkt richtig ausgewählt hat. Wenn er da einen Fehler gemacht hat, besteht die Gefahr, dass der Planer voll in Haftung genommen wird. Oder nehmen wir das Beispiel Aerodynamik: Die Hauptaufgabe eines NRWGs ist die sichere Entrauchung, bei Dach-NRWGs sogar unter dem Einfluss von Seitenwind. Dazu ist die Durchführung der Aerodynamikprüfung zwingend notwendig. Wenn nicht nachgewiesen wurde, dass mein NRWG überhaupt in der Lage ist, Rauch aus dem Gebäude zu leiten, ist das Schutzziel verfehlt worden. Im Ernstfall ist es möglich, dass das NRWG nicht Rauch abführt, sondern eine Rauchabfuhr verhindert: Ist z.B. die Klappe nicht weit genug zu öffnen und drückt der Wind dagegen, drückt der Wind den Rauch wieder ins Gebäude hinein.

Frage: Das heißt, nach der BauPVO muss der Hersteller nicht nachweisen, ob der Rauchabzug überhaupt funktioniert?

Schmees: Nein, es ist im Rahmen der BauPVO tatsächlich möglich, auf eine Aerody­namikprüfung zu verzichten, in die Leistungserklärung lediglich „n.p.d.“ (no perfor­mance determined) zu schreiben und nur eine andere Prüfung (z.B. Windlastprüfung) durchzuführen. Daraufhin kann der Hersteller sein CE-Zeichen draufkleben und das NRWG in Verkehr bringen, ohne überhaupt geprüft zu haben, ob es entrauchen kann.

Frage: Das Problem ist also, dass das Produkt nicht mehr mit einer Norm konform sein muss, sondern nur noch mit der eigenen Leistungserklärung?

Schmees: Ja, einer Leistungserklärung, die ich als Hersteller selber ausgestellt habe. Und ich bestätige mit dem CE-Kennzeichen nicht mehr die Konformität mit der BauPVO und nicht mehr die Konformität mit der Norm, sondern nur noch die Konformität mit ei­ner, zum Teil sehr eingeschränkten Leistungserklärung, weil bei zu vielen wesentlichen Merkmalen die Option „n.p.d.“ deklariert wurde. An diesem Punkt muss dem Planer klar sein: Je komplizierter und komplexer die Erstellung eines Bauwerks ist, desto größer ist für ihn bei einer nur teilweise ausgefüllten Leistungserklärung die Gefahr, wegen man­gelhafter Leistungen in Haftung genommen zu werden.

Frage: Warum legen nicht alle Hersteller vollständige Leistungserklärungen für ihre Produkte vor?

Schmees: Einige der Prüfungen sind sehr teuer. Die Prüfung der Aerodynamik zum Beispiel kann im Vergleich zur Windlastprüfung schnell 20 Mal so teuer sein. Es ist also für den Hersteller sehr viel günstiger, z.B. nur eine Windlastklasse anzugeben. Der be­treffende Produzent verspricht sich durch das Weglassen der aufwendigen Prüfungen, niedrigere Preise anbieten zu können. Allerdings liegen zwischen einem NRWG, welches Prüfungen zu Brandschutz und Aerodynamik, Wind und Schneelast besteht, und einer Öffnung zur Rauchableitung, bei der diese Prüfungen nur teilweise durchgeführt wur­den, nur wenige Euro Preisunterschied.

Wenn man bedenkt: Jeder Privathaushalt gibt jedes Jahr hohe Summen für Versiche­rungen aus, um sich gegen Risiken abzusichern. Beim Thema RWA ist das Thema Ab­sicherung nicht minder wichtig: Im schlimmsten Falle geht es für die Menschen im Ge­bäude um ihr Leben und für den Planer um Kopf und Kragen. Daher sollte man sich hier gut überlegen, ob die etwas höheren Kosten für geprüfte Produkte nicht gut investier­tes Geld sind.

Frage:  Wie kann der Planer Risiken einschränken und sich die Arbeit erleichtern?

Schmees: Sicherheit hat der Planer nur mit dem Einsatz von vollumfänglich geprüf­ten NRWGs. Hier ist in Deutschland auf die alten Werte zu verweisen, die Jahrzehnte lang für ein hohes Sicherheitsniveau gesorgt haben. D+H richtet sich nach diesen Werten: Alle unsere Produkte erfüllen z.B. die jeweiligen Anforderungen an Wärmebe­ständigkeit (300°C/30 min.), Aerodynamik und klimatische Einsatzbedingungen (Wind­last, Schneelast, tiefe Temperaturen). D+H Geräte müssen zudem mindestens 10.000 Mal in die geöffnete und geschlossene Stellung und bis zu 1.000 Mal in die voll aus­gefahrene Entrauchungsposition fahren können.

Frage:  Sie sagten, der Planer stehe in der vollen Verantwortung bei der Auswahl des richtigen NRWGs. Wie aber kann ein zuverlässiger Vergleich erfolgen, wenn die Leistungserklärung, wie in der BauPVO gefordert, erst mit Auslieferung des Produktes ausgehändigt wird?

Schmees: Da ist es dann eigentlich für einen richtigen Vergleich schon zu spät. Des­halb empfehlen wir, die Leistungserklärung nicht erst mit Auslieferung des Produktes vorzulegen. Wir handhaben es bei D+H so, dass wir mit der Software myCalc dem Kunden schon im Vorwege die Leistungserklärung zur Verfügung stellen und ihm da­mit die Möglichkeit geben, diese mit denen der Wettbewerber zu vergleichen.

Frage: Was könnte der Gesetzgeber tun, um hier mehr Planungssicherheit zu schaffen?

Schmees: Es wird jetzt beim Deutschen Institut für Normung (DIN) in Berlin versucht, eine Norm zu erarbeiten, in der die Anforderungen an eine Leistungserklärung festge­legt werden. Da wäre dann ein Eintrag „n.p.d.“ nicht mehr erlaubt. Wir versuchen, in der neuen Norm die alt bewährten Werte zu manifestieren - damit wollen wir das Si­cherheitsniveau, das wir seit Jahrzehnten hier in Deutschland hatten, erhalten.

Frage: Die BauPVO ist eine europäische Norm. Wie sieht deren europaweite Umsetzung in der Praxis aus?

Schmees: Aufgrund der derzeit zumeist noch fehlenden Anforderungen der einzelnen europäischen Mitgliedstaaten ist völlig unklar, was erfüllt sein muss, um ein Produkt auf den jeweiligen Markt zu bringen. Wir haben in allen 27 europäischen Staaten an­gefragt, welche Voraussetzungen für NRWGs jeweils dort erfüllt werden müssen. Er­gebnis war zumeist große Unkenntnis und Verwirrung. Die Idee der Bauproduktenver­ordnung war ja eigentlich nicht schlecht: Wozu soll ich bei einem NRWG alles prüfen müssen, wenn ich in Schweden eine Anforderung an eine Schneelast habe, in Süd- wSpanien aber nicht? Nur gibt es in der Praxis nun gar keine wirklichen Anforderungen mehr und der freie Warenhandel, welcher ja das ursprüngliche Ziel der Europäischen Union war, wird ad absurdum geführt: Es gibt eben keinen freien Handel, weil ich an jeder Grenze prüfen muss, was ich in dem jeweiligen Land erfüllen muss. Sie können in diesem Punkt aber sicher sein, dass D+H nicht aufhören wird darauf zu drängen, Vorgaben für die jeweiligen Länder zu erarbeiten.

Frage: Was raten Sie dem Planer, damit sich dieser bestmöglich vor Planungs­fehlern – und ihren Folgen – schützen kann?

Schmees: Wählen Sie Produkte sorgfältig aus, verlangen Sie vollständig ausgefüllte Leistungserklärungen! In Deutschland bieten unsere NRWGs die technischen Werte, die man in Deutschland braucht. Mit diesen Werten haben wir immer schon ein sehr hohes Niveau erreicht und das obere Ende der europäischen Werte angeführt. Da die Werte unserer Euro-RWA das deutsche Niveau erfüllen, können unsere Produkte auch im europäischen Ausland bestehen. Wenn man exportieren möchte, muss man sich dennoch mit den Gesetzen dort auseinandersetzen und gucken, was dort vor­geschrieben ist. Ich kann nur für unsere Produkte sprechen: D+H bietet mit einem komplett durchgeprüften Euro-RWA absolute Sicherheit für den Planer. Will dieser das Risiko vermeiden, dass durch das Verwenden eines nicht geeigneten Produktes im schlimmsten Falle hohe Schadensersatzansprüche gegen ihn entstehen, sollte er bereit sein, diese geprüfte Sicherheit einzusetzen.

Frage: Wie soll zukünftig sichergestellt werden, dass das Inverkehrbringen von Produkten einfacher wird?

Schmees: Die gegenwärtige Verunsicherung ist eine schwierige Situation für alle Beteiligten. D+H ist mit großem Druck dabei, diesen Zustand zu klären, auch europa­weit, damit es für alle Klarheit gibt. Das wird viel Fleißarbeit sein. Wir werden weiter­hin die Produktinformationsstellen in den jeweiligen Ländern anschreiben und Aufklä­rungsarbeit leisten. Dafür werden wir die zuständigen Stellen fragen, welche Anfor­derungen sie in ihrem Land haben.

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