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Körpersprache der Bäume: Visual Tree Assessment (VTA) optimiert Leichtbau

(17.5.2014) Bäume lügen nicht: Ihre Gestalt ist immer das Resultat von Reaktionen auf äußere Einwirkungen oder innere Schäden und kann durch genaue Beobachtung rückverfolgt werden. Professor Claus Mattheck und seine Arbeitsgruppe am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben die Prinzipien, wie Bäume sich entwickeln und re­parieren, früh erkannt und sukzessive auch auf die Optimierung von Bauteilen bezüg­lich Leichtbau und Dauerfestigkeit übertragen. Aus anfangs komplizierten Rechenpro­grammen entwickelten sich einfache Denkwerkzeuge, die ein neues Verständnis der Bäume ganz ohne Formeln ermöglichen.

Ihre Erkenntnisse haben Claus Mattheck, Klaus Bethge und Karlheinz Weber nun in dem Buch „Die Körpersprache der Bäu­me: Enzyklopädie des Visual Tree Assessment“ zusammenge­fasst. Die Baumgestalt ist ein Protokoll von Schicksalsschlä­gen und deren Überwindung durch Selbstreparatur. Bäume re­agieren auf äußere Einflüsse und innere Schäden, auf Wind, Risse, äußere Verletzungen oder Pilzbefall. Sie reparieren sich selbst durch lastgesteuert angebautes Holz an mechanischen Schwachstellen.

Diese grundlegenden Mechanismen, nach denen sich Bäume in der Natur entwickeln und reparieren, hat Mattheck mit seiner Arbeitsgruppe untersucht. Hinter allem steht ...

  • das Axiom konstanter Spannung und
  • die Regel von der gerechten Lastverteilung auf der Baumoberfläche.

Dem Baum wächst gleichsam so lange Holz zu, bis die defektbedingt lokal hohe Span­nung wieder vergleichmäßigt ist. Die so entstandenen Warnsignale deutet die Metho­de des „Visual Tree Assessment“ (VTA). „Die VTA-Methode ist inzwischen weltweit verbreitet und Grundlage vieler Gerichtsentscheidungen“, stellt Professor Dr. Claus Mattheck, Abteilung Biomechanik am Institut für Angewandte Materialien des Karls­ruher Instituts für Technologie, fest. „Durch äußere Beobachtung des Baumes erken­nen wir Warnsignale, die genauer untersucht werden müssen. Auf Grundlage umfang­reicher Feldstudien können wir Versagenskriterien für Bäume festlegen. So können wir beurteilen, ob von bestimmten Bäumen eine Gefahr für ihre Umgebung ausgeht.“ Inzwischen liegen auch umfangreiche Erfahrungen mit exotischeren Baumtypen wie Schirmbäumen oder Brett- und Stelzenwurzlern vor. Dazu wurde auch Material in Zu­sammenarbeit mit dem Singapore National Parks Board gewonnen, das die VTA-Me­thode seit fast zwanzig Jahren erfolgreich einsetzt.

Foto: KIT 

VTA als Grundlage bionischer Optimierungen

Claus Mattheck und seine Arbeitsgruppe übertrugen die von der Natur abgeschauten Prinzipien auf mechanische Bauteile und ließen sie entsprechend „wachsen“. Die ent­wickelten Programme hielten Einzug in die Entwicklungsabteilungen der Industrie, bei­spielsweise der Autobauer. Durch Formoptimierung entstanden leichtere und dabei gleichzeitig haltbarere Komponenten. Anfangs waren dazu komplexe Programme und erfahrene Programmierer notwendig. „Durch ein vertieftes Verständnis der mechani­schen Zusammenhänge können wir inzwischen zumindest für einfache Anwendungen auf Computerprogramme verzichten und stattdessen optimierte Formen durch einfa­che Denkwerkzeuge entwickeln.“ Mit der „Methode der Zugdreiecke“, einer rein gra­phischen Methode zum Abbau von Kerbspannungen, können potenzielle Bruchstellen entschärft werden. Das Ergebnis ist eine Universalform der Natur, die den Bach­kiesel genauso beschreibt wie die Steilküste, den Knochen und die Bäume. Es zeigte sich, dass diese Universalform sich auch in der unbelebten Natur durch Deformation einstellt oder durch Erosion.

Inzwischen optimieren viele Industrieunternehmen ihre Bauteile mit Mattheck's Denk­werkzeugen. Es gibt dazu bereits die VDI-Richtlinie 6224, Bionische Optimierung.

Umgekehrt ermöglichen diese Denkwerkzeuge ein neues Verständnis auch der Bäume, ohne auf komplizierte Formeln zurückgreifen zu müssen. „Die neuen Denkwerkzeuge wenden wir erstmals auf alle Teile des Baumes und seiner Umgebung an“, so Profes­sor Mattheck. „Jetzt sprechen die Entwickler der großen Maschinenbaukonzerne und die Baumpfleger eine gemeinsame mechanische Sprache: eine standesübergreifende Volksmechanik.“

Die Körpersprache der Bäume: Enzyklopädie des Visual Tree Assessment
  

Ein Vierteljahrhundert Baumforschung der Abteilung Biome­chanik des KIT ist in dem Buch „Die Körpersprache der Bäu­me: Enzyklopädie des Visual Tree Assessment“; die weiteren bibliographischen Angaben zu dem Buch:

  • von Claus Mattheck, Klaus Bethge und Karlheinz Weber
  • 548 Seiten
  • ISBN: 978-3-923704-86-6
  • erhältlich bei Amazon

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