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Schwarze Löcher für eine bessere Trittschalldämmung in Holzbauten

(2.12.2022) Selbst für modernste Holzgebäude ist Trittschall eine Herausforderung. Wissenschaftler der Empa könnten nun eine Lösung gefunden haben: Mit einer physikalischen Theorie aus den 1990er-Jahren und den Mitteln der Digitalisierung haben sie neue Bodenelemente aus Massivholzplatten entwickelt, die über akustische schwarze Löcher verfügen. Die Idee dazu kam von Stefan Schoenwald, dem Leiter des Bauakustiklabors der Empa in Dübendorf. Die Theorie der akustischen schwarzen Löcher ist ihm seit deren ersten Publikation 1987 mehrfach bei Konferenzen und in wissenschaftlichen Veröffentlichungen begegnet. Laut dem russischen Autor M.A. Mironov aus dem „Andreyev Acoustics Institute“ in Moskau kann eine parabolische Aussparung in einem Material Vibrationen wie Schall aufnehmen und ausschwingen lassen - also schlucken.

Smarte Lärmdämmung. Berechnungen der Schwingung von Holzplatten mit „Schwarzen Löchern“. (Alle Fotos / Bilder © Empa) 

Allerdings ist die Fertigung dieser parabolischen Aussparung bei sehr dünnen, harten Materialien nicht einfach. Weder im Holzbau noch in der Bauakustik fanden je Experimente mit Mironovs Aussparungen statt. Dies hat Laborleiter Schoenwald nun gemeinsam mit seinem Kollegen Sven Vallely geändert: Mit neuartigen Brettsperrholzplatten-Elementen wollen die beiden Forscher die Trittschalldämmung im Holzbau verbessern.

Zur Erinnerung: Wie es Schallwellen in der Luft gibt, so gibt es Schallwellen in Materialien, sogenannte Körperschallwellen. „Wenn man auf einen Boden auftritt, ist das wie ein Stein, den man in einen Teich wirft: Im Material breiten sich in alle Richtungen Schallwellen aus“, erläutert Herr Schoenwald. Wenn nach einer spezifischen mathematischen Funktion eine linsenförmige Vertiefung aus dem Material gefräst wird, laufen die Schallwellen in diesen Bereich hinein. Dabei verstärken sich die Amplituden immer weiter, während die Wellenläge der Schwingungen abnimmt. „Könnte man die Platten im Bereich dieser Vertiefungen unendlich dünn machen, dann würden sich die Schallwellen tatsächlich von alleine in diesen ,schwarzen Löchern‘ totlaufen, es käme also nichts mehr aus der Linse“, stellt Herr Schoenwald fest. Fraglich war bislang, ob die schallmindernde Wirkung auch bei einer beschränkten Tiefe der Aussparung eintritt.

Die Idee, mit akustischen schwarze Löchern in Holzbauten zu experimentieren, kam Herrn Schoenwald während der Arbeit. Er bat seinen Kollegen Vallely, die schallmindernde Wirkung am Computer zu simulieren und durchzurechnen. Um statische Bedenken aus dem Weg zu räumen, wurde Andrea Frangi, ein Holzbau-Experte der ETH Zürich, nach seiner Einschätzung gefragt. Nicht nur dessen Rückmeldung, sondern auch die Modellierung der Schallminderung am Computer war vielversprechend. Also gab Herr Schoenwald einen Prototyp und eine normale Kontrollplatte aus dem gleichen Material bei der Strüby AG in Seewen in Auftrag. Mit einer CNC-Maschine wurde dort eine linsenförmige Kuhle maßgenau aus einer Brettsperrholzplatte gefräst.

Umsetzungspartner Strüby AG in Seewen fräste die mathematisch berechneten Kuhlen in eine Brettsperrholzplatte 

Computerpower macht's möglich

Die beiden Platten - eine mit, eine ohne akustische schwarze Löcher - wurden an der Empa einer Schwingungsanalyse unterzogen. Bei dieser Messung wird Schall über das ganze relevante Schallspektrum als Vibration in den Testkörper geleitet. Ein Laser misst die Vibration der Test-Platten rasterförmig an mehreren Stellen. Mit den Messwerten kann dann berechnet werden, wie sich die Vibration durch die Platte bewegt - und, ob die ausgefrästen Dellen den Schall auch wirklich „einfangen“ und in Form von Wärme verpuffen lassen.

Noch vor zehn Jahren wäre eine solche Versuchsreihe nicht durchführbar gewesen. Schon die Modellierung der Vibration eines kleinen Bandbreitebereichs war vom rechnerischen Aufwand her eine Dissertation. Heute rechnen die Forscher an einem Nachmittag das ganze akustische Spektrum durch und machen die Vibrationen als Visualisierung gleich sichtbar. Ziel des Versuchs war es, zu untersuchen, ob die simulierten Resultate sich mit den gemessenen Werten decken. Denn wenn das Computermodell der Realität entspricht, können am Computer nahezu kostenlos alle möglichen Parameter verändert werden, ohne dass jedes Mal eine neue Versuchsplatte angefertigt werden muss. So lässt sich die Schallminderung ohne aufwändige Experimente für Holzelemente aller möglichen Größen und Geometrien optimieren.

Stefan Schoenwald und Sven Vallely 

Bessere Dämmleistung bei weniger Gewicht

Ergebnis der Untersuchungen: Die Messwerte stimmen sehr gut mit der Modellrechnung überein. Mit einer Abweichung von derzeit rund 5% ist Herr Schoenwald sehr zufrieden. Diese Abweichung lässt sich durch die Fertigung der Platten und die natürliche Variation des Holzes erklären, ergänzt Herr Vallely.

„Aktuell sind wir an den Trittschallmessungen, die wir nach internationalen Normvorgaben durchführen. Im nächsten Schritt müssen die Brandschutz- und Statik-Eigen­schaften bestätigt werden“, erklärt Herr Schoenwald. Weitere Untersuchungen sollen sicherstellen, dass die Brettsperrholzplatten nicht nur mindestens auf marktüblichem Niveau den Schall dämmen, sondern auch alle für die Verwendung im Bau notwendigen Zertifizierungen erhalten.

So funktioniert es

Die Wirkungsweise der Platten beschreibt Herr Schoenwald so. „Bei der Dämmung von Trittschall muss ich drei Eigenschaften zugleich im Auge behalten: die Masse des Bauteils einerseits, seine Steifigkeit und die Dämpfung andererseits. Steifigkeit und Dämpfung widerstreben sich - ein weiches Bauteil lässt sich gut dämpfen, ein steifes Bauteil weniger gut.“

Herr Schoenwald nennt ein Beispiel: „Klassische Massivholzdecken sind zugleich leicht und steif - hier verbinden sich also zwei ungünstige Eigenschaften.“ Ein möglicher Ausweg ist es, die Masse des Bauteils zu erhöhen. In moderne Holzhäuser bauen die Architekten daher dicke Schichten von Kies zur Beschwerung ein. So geraten die Holzdecken weniger leicht in Vibration, wenn ein Erwachsener darüber geht oder ein Kind durch die Wohnung hüpft.

Herr Schoenwald und Herr Vallely beschreiten einen anderen Lösungspfad. „Wir machen die Holzdecken an bestimmten Stellen besonders weich, damit sie dort besonders stark schwingen können. An diesen Stellen dämpfen wir die Schwingung gezielt mit einer kleinen Menge Sand oder Kies“, erläutert Herr Schoenwald. Das gleiche Material, nämlich der Kies, erfüllt hier einen völlig anderen Zweck: „Bei uns ist der Kies nicht zur Beschwerung da. Er soll sich stattdessen bewegen und durch seine innere Reibung die Vibration in Wärme umwandeln.“

Bitte , um dieses Video anzusehen.
Schwarze Löcher als Lärmfallen in gut 2½ Minuten erklärt

Das Ergebnis: Eine Holzdecke mit akustischen schwarzen Löchern ist wesentlich leichter als eine herkömmliche Decke und dämpft Trittschall dennoch deutlich besser. Die baulich vorteilhafte Steifigkeit der gesamten Deckenkonstruktion bleibt dabei erhalten.

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