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Studie: Wie gehen Hochwasserschutz und Kulturlandschaftsgestaltung zusammen?

(23.6.2013; Verlinkungen zuletzt am 10.5.2016 upgedatet.) Flüsse und ihre Ufer gehören zu den bevorzugten Siedlungs­räu­men und prägenden Elementen unserer Kulturland­schaft. Flussregionen unterliegen einem stetigen Wandel, sie werden laufend an die wechselnden Bedürfnisse der Menschen angepasst und umgestaltet. Eine Studie des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) ging 2009 der Frage nach, wie Zielvorstellungen der regionalen Kultur­landschaftsgestaltung und des vorbeugenden Hochwasser­schutzes bzw. der Niedrigwasservorsorge in Flusslandschaften unter Einbeziehung der Folgen des Klimawandels verzahnt wer­den können.

Wie kann die strategische Entwicklung von Flusslandschaften dazu beitragen, Anfor­derungen des vorbeugenden Hochwasserschutzes und der Niedrigwasservorsorge mit einer regionalen Kulturlandschaftsgestaltung zu verknüpfen? Grundlagen für die nach­folgenden Empfehlungen sind die MORO-Studie mit den Literatur-und Institutionenana­lysen und den regionalen Fallstudien sowie der MORO-Expertenworkshop „Flussland­schaften - Hochwasserschutz, Niedrigwasservorsorge und regionale Kulturlandschafts­gestaltung“. Der MORO-Expertenworkshop fand am 26. Februar 2009 in Berlin statt. Die geladenen Experten aus Bundesministerien, Bundes-und Landesbehörden, Hoch­schulen und Verbänden diskutierten die Forschungsergebnisse von „Fluss-Kult“. Am Runden Tisch „Next Practice“ wurde erörtert, wie künftige Modellprojekte zur Entwick­lung von Flusslandschaften gestaltet werden sollen.

Flusslandschaftsgestaltung ist eine Gemeinschaftsaufgabe

Die Entwicklung von Flusslandschaften ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die verschiede­ne fachplanerische Handlungslogiken mit gestalterischen und identitätsbasierten Pro­jekten verknüpft. Flusslandschaftsgestaltung hat nicht in Konkurrenz zur Bewirtschaf­tung von Flussgebietseinheiten zu treten, sondern diese zu ergänzen und so dem vor­beugenden Hochwasserschutz bzw. der Niedrigwasservorsorge zu mehr Durchset­zungskraft zu verhelfen.

Flusslandschaften sind als Schwerpunkträume regionaler Klimaanpassungsstrategien aufzufassen und zu entwickeln. Aufgrund der Prognoseunsicherheiten müssen plane­rische Festlegungen sowie entsprechende Maßnahmen des vorbeugenden Hochwas­serschutzes und der Niedrigwasservorsorge Anpassungsmöglichkeiten beinhalten. In­formelle Ansätze regionaler Kulturlandschaftsgestaltung können ein Ansatz für die Er­probung flexibler Maßnahmen sein.

Rolle regionaler Akteure

Den Akteuren auf regionaler Ebene, die projektorientiert die Entwicklung der Flussland­schaften betreiben, kommt eine Schlüsselrolle zu. Für diese heterogene Zielgruppe gelten folgende Empfehlungen:

  • In Kommunen sind fluss- und hochwasserbezogene Kooperationen zu etablieren und zu verstetigen.
  • Für die Verzahnung der Handlungsfelder sind neben den wasserwirtschaftlichen Planungsverfahren ergänzende Leitbilder, Strategien und informelle Koopera­tionsstrukturen zu entwickeln.
  • Es sind Instrumente zu entwickeln bzw. anzuwenden, die über sektorale Ziel­setzungen hinausreichen (Masterpläne, sektorübergreifende Gutachten etc.).
  • Belange des vorbeugenden Hochwasserschutzes sowie der Niedrigwasservor­sorge sind frühzeitig in Projekte zur Flusslandschaftsgestaltung einzubringen.
  • Die Flusslandschaftsgestaltung ist als Komponente einer regionalen Strukturpoli­tik aufzufassen und damit im öffentlichen Diskurs zu stärken.
  • Die hohe Wirksamkeit der Kommunikation konkreter Hochwasserereignisse und die darüber erzeugbare öffentliche Aufmerksamkeit sind als Potenziale für die Umsetzung von Konzepten zur Hochwasservorsorge zu nutzen.
  • Eine umfassende Kommunikations- und Kooperationskultur ist als Grundlage für ein regionales, über sektorale Zuständigkeiten hinausreichendes Zusammenge­hörigkeitsgefühl zu etablieren.

Rolle der Raumordnung

Die Raumordnung besitzt bezogen auf die hier betrachteten Handlungsfelder Gestal­tungsmöglichkeiten, die noch selten genutzt werden. Die sich ergänzenden formellen und informellen Instrumente sowie die sektorübergreifende Perspektive der gesamt­räumlichen Planung können eine integrierte regionale Flusslandschaftsgestaltung för­dern. Es ergeben sich folgende Aufgaben zur Integration von Kulturlandschaftsgestal­tung und vorbeugendem Hochwasserschutz:

  • Es sind Modellprojekte zu initiieren, die eine integrierte Flusslandschaftsgestal­tung (entsprechend dem Leitbild 3 „Ressourcen bewahren, Kulturlandschaften gestalten“) erproben.
  • In Landesentwicklungsplänen und -programmen ist neben der Hochwasservor­sorge auch die Kulturlandschaftsgestaltung zu thematisieren. Querbezüge zwi­schen den beiden Handlungsfeldern sind herauszustellen.
  • Die Regionalplanung hat ihre übergeordnete Steuerungsfunktion auszuschöpfen und für die Hoch- und Niedrigwasservorsorge erforderliche Flächennutzungen vorzubereiten.
  • Über die gesetzlich definierte Aufgabe der Regionalplanung zur Flächensicherung für die Hochwasservorsorge hinaus hat die Regionalplanung ihre Rolle als Mode­rator und Initiator von Entwicklungsprozessen verstärkt auszufüllen.
  • Die Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Bedeutung von Flusslandschaften für Regionalentwicklung und Klimaanpassungsstrategien sowie die Kommunikation der Gefahren von Hoch- und Niedrigwasser sind zu verfolgen. Eine kreative Viel­falt an zielgruppenspezifischen Kommunikationsformen stellt die Erreichbarkeit unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen sicher und leistet einen Beitrag zur Iden­tifikation mit der Flusslandschaft.

Zur Berücksichtigung der Niedrigwasservorsorge und zum Umgang mit dem Klimawandel in Flusslandschaften kann die Raumordnung folgende Beiträge liefern:

  • Es ist zu prüfen, inwieweit die Niedrigwasservorsorge in die Grundsätze der Raumordnung (§2 ROG) aufgenommen werden kann.
  • Es ist zu prüfen, inwieweit der Belang der Niedrigwasservorsorge in die Landes­planungsgesetze sowie in die textlichen und zeichnerischen Darstellungen der Landesplanung aufgenommen werden kann.
  • Die Regionalplanung sollte die Möglichkeiten zur Ausweisung von Vorbehaltsge­bieten für die Niedrigwasservorsorge erhalten. Gegebenenfalls hat die Flächen­sicherung kombiniert mit Bereichen für die Hochwasservorsorge bzw. die Siche­rung von Natur und Landschaft zu erfolgen.
  • Eine vorausschauende Flächenvorsorge ist grundsätzlich zu verfolgen. Es sind Extremereignisse zu berücksichtigen, die zukünftig potenziell häufiger auftreten werden. Die Funktion des Regionalplans als Signalplan, der Flächennutzer auf potenzielle Hochwassergefahren aufmerksam macht, ist damit zu stärken.
  • Die unterschiedlichen Vulnerabilitäten verschiedener Flächennutzungen sind von der Regionalplanung zu berücksichtigen und somit neue räumliche Ansprüche ab­zusichern. Das Hochwasserrisiko wird nicht allein durch das Hochwasserereignis im Zusammenwirken mit den baulichen Vulnerabilitäten bestimmt, sondern aus einer Summe von ökosystemaren, sozialen und institutionellen Einflussfaktoren. Hiermit sind neuartige Anforderungen an Regionalpläne verbunden.

Rolle der Wasserwirtschaft

Der Wasserwirtschaft obliegt die primäre Zuständigkeit für die Umsetzung von Hoch­wasserschutz und Niedrigwasservorsorge. Aufgrund der Raumwirksamkeit von Hoch- und Niedrigwasservorsorge bestehen für die Wasserwirtschaft aber erhöhte Koopera­tionsanforderungen, welchen mit dem Ansatz der Kulturlandschaftsgestaltung ent­sprochen werden kann:

  • In Leitlinien und Handlungsempfehlungen zum vorbeugenden Hochwasserschutz sind künftig Aspekte der regionalen Kulturlandschaftsgestaltung zu integrieren.
  • Auf Landesebene sind, dem Beispiel von Rheinland-Pfalz folgend, Strategien zum vorbeugenden Hochwasserschutz zu erarbeiten, welche die Einbindung dieses Handlungsfeldes in die Entwicklung der Kulturlandschaft thematisieren.
  • Eine Stärkung der Umsetzung des vorbeugenden Hochwasserschutzes bzw. der Niedrigwasservorsorge ist durch Aufnahme von adäquaten Maßnahmen in die Förderkataloge der Richtlinien zur Umsetzung wasserbaulicher Maßnahmen in allen Bundesländern erforderlich.
  • Die Akzeptanz für die Umsetzung von Zielen der Wasserrahmen- und Hochwas­serrichtlinie ist durch Maßnahmen zur integrierten Flusslandschaftsgestaltung zu stärken.
  • Die Öffnung der Wasserwirtschaft für integrative Handlungsansätze ist konse­quent zu verfolgen. Beispielsweise können Flusslandschaftsbetreuer als kommu­nikative Schnittstelle zwischen der Öffentlichkeit, den Wasserbehörden, Akteu­ren der Kulturlandschaftsgestaltung sowie den Medien berufen werden.
  • Die Stärkung des Hochwasser-Bewusstseins in der Bevölkerung ist voranzutrei­ben. Hierbei sind z.B. interaktive Simulationen einzusetzen, die die Gefährdungen für die jeweiligen Flächen anschaulich darstellen und der Öffentlichkeit leicht zu­gänglich und kommunikationsstark aufbereitet sind.

Zur Berücksichtigung der Niedrigwasservorsorge und zum Umgang mit dem Klimawan­del in Flusslandschaften kann die Wasserwirtschaft in diesem Zusammenhang folgende Beiträge liefern:

  • Es ist zu prüfen, inwieweit das Handlungsfeld Niedrigwasservorsorge in wasser­rechtliche Regelungen integriert werden kann. Niedrigwasserrisikokarten und Niedrigwassermanagementpläne sind problembezogen zu erstellen.
  • Die Synergien zwischen Hoch- und Niedrigwasservorsorge sind zu nutzen. Ein Beispiel hierfür kann ein adaptives Talsperrenmanagement sein, d.h. eine zeitlich und räumlich differenzierte Bewirtschaftung der Stauanlagen in Abstimmung mit den Anforderungen der Unterlieger. Grundsätzlich ist eine Prüfung von Maßnah­men des Hochwasserschutzes hinsichtlich ihrer Niedrigwasserrelevanz erforder­lich.
  • Flexible Anpassungsstrategien sind zu entwickeln, um den Unsicherheiten der Klimaprognosen gerecht zu werden. Dazu gehören „No-Regret-Strategien“, die Maßnahmen aufgreifen, welche sowohl der Niedrigwasservorsorge als auch dem Hochwasserschutz dienen (Wasserrückhalt in der Fläche verbessern, Entsiege­lungsmaßnahmen, Renaturierungsmaßnahmen etc.). Solche Maßnahmen ziehen für Szenarien steigender, sinkender, sich verschiebender oder gleichbleibender Niederschlagsmengen positive Effekte nach sich.
  • Planungsentscheidungen müssen vor dem Hintergrund des Klimawandels ggf. neu bewertet werden. Beispielsweise ist die Wirtschaftlichkeit von Ausbaumaß­nahmen an Wasserstraßen vor dem Hintergrund häufigerer und stärkerer Niedrig­wasserereignisse zu überprüfen und die Ergebnisse in bestehende Planungen einzubeziehen („Klima-Check“).

Modellprojekte in Flusslandschaften

In zukünftigen Modellprojekten sind innovative Wege zum Umgang mit den Herausfor­derungen der Hoch- und Niedrigwasservorsorge in Flusslandschaften zu erproben. Ins­besondere sind die Potenziale der Flusslandschaft für die integrierte Regionalentwick­lung und für Klimaanpassungsstrategien aufzugreifen und neue Ideen zu generieren.

Folgende Inhalte für Modellprojekte sind von besonderer Relevanz in Flussland­schaften:

  • Anpassung an den Klimawandel und Klimaschutz aufgreifen,
  • Prozesse der Umsetzung von Wasserrahmen- und Hochwasserrichtlinie mit re­gionaler Flusslandschaftsgestaltung verknüpfen,
  • Partizipation konsequent umsetzen und Kooperationen aufbauen,
  • Kommunikation über die Flusslandschaft strategisch und zielgruppenorientiert verfolgen,
  • sektorale Ziele (Fluss als Natur- und Erholungsraum, Wasserstraße etc.) ver­knüpfen,
  • Herausforderungen städtischer und ländlicher Flusslandschaften berücksichti­gen,
  • Flüsse als räumliche Integrationselemente und Identitätsträger nutzen,
  • politisch-administrative Ebenen differenziert berücksichtigen.

Die Bundesressorts verfolgen jeweils eigene Schutz- und Entwicklungsziele für die Flusslandschaften. Deren Gemeinsamkeiten sind verstärkt für eine integrierte Fluss­landschaftsgestaltung herauszuarbeiten. Sektor übergreifende Ansätze sind für den Umgang mit komplexen Anforderungen an Flusslandschaften essenziell. Beispiele sind der Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels, die Erhaltung der Biodiver­sität, die Funktion der Flüsse als Verkehrsträger sowie die kulturelle Bedeutung von Flusslandschaften. Kooperationsmodelle sind zu erproben. Neue gemeinsame Politik- und Förderansätze für die Flusslandschaftsgestaltung sind zu entwickeln, z.B. die Konzipierung und Durchführung ressortübergreifender „Modellvorhaben zur Flussland­schaftsgestaltung“.

Der Bund verfügt über Möglichkeiten, Bewusstsein für die Qualitäten und Potenziale von Flusslandschaften zu wecken. Dabei sind zum einen die kulturelle Bedeutung von Flusslandschaften zu verdeutlichen, zum anderen auch die zunehmenden funktionellen Anforderungen wie die Hoch- und Niedrigwasservorsorge und die Umsetzung von Kli­maanpassungsstrategien zu vermitteln. Ergänzend sind Potenziale einer Verzahnung von regionaler Kulturlandschaftsgestaltung mit der Hoch- und Niedrigwasservorsorge zu kommunizieren, damit bei Entscheidungsträgern auf unterschiedlichen Ebenen die Bedeutung einer integrierten Perspektive erkannt wird.

Die Studie wurde in den Jahren 2008 und 2009 von Ludger Gailing und Frank Sondershaus am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung durchgeführt, der vollständige Studientext kann per E-Mail an BBR angefordert werden; zudem ist er als PDF-Dokument verfügbar.

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