Baulinks -> Redaktion  || < älter 2016/0717 jünger > >>|  

„wesentliche Veränderung“: Der Zündstoff in der VOB 2016

Vergabe-Stempel
© Coloures-pi / Fotolia
 

(30.5.2016) Die seit dem 18. April 2016 maßgebliche Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) 2016 birgt hohes Konfliktpotential, denn das neue Vergaberecht hat jetzt auch weitreichende Auswirkungen auf Architekten sowie Subunter­nehmer mit Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte: Eine Kün­digung ist beispielsweise nun allein aufgrund von Vergabefeh­lern möglich und betrifft dann die gesamte Nachunternehmer­kette. Ein Verschulden des Auftragnehmers ist dabei nicht ein­mal erforderlich. „Dem Missbrauch dieser Vorschrift sind Tür und Tor geöffnet“, befürchtet Dr. Andreas Koenen, Fachan­walt für Bau- und Architektenrecht.

Auf den ersten Blick gelten die neuen Vorschriften zwar nur für Bauprojekte oberhalb des EU-Schwellenwerts von 5.225.000 Euro. Auf den zwei­ten Blick wird jedoch klar, dass sich das neue Vergaberecht auch auf Aufträge unter­halb des Schwellenwerts und damit auch auf Subunternehmer auswirkt - und zwar dann, wenn das Gesamtbauvorhaben des öffentlichen Auftraggebers den Wert von 5.225.000 Euro überschreitet.

Bitte , um dieses Video anzusehen.
Wer nicht lesen will kann lauschen: Baurechtsspezialist Dr. Andreas Koenen, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Inhaber der auf Baurecht spezialisierten Kanzlei Koenen Bauanwälte zur VOB/B 2016

Keine klare Trennung mehr zwischen Vergabe und Vertrag

Dass nicht nur die Vergabevorschriften der VOB/A, sondern auch die Vertragsord­nung - die VOB/B - geändert wurde, ist laut Koenen bei der Diskussion um die Verga­berechtsreform kaum beachtet worden. Bislang habe eine klare Trennung zwischen der Vergabe eines Auftrages und dem anschließenden Bauvertrag gegolten. Das Ver­gaberecht endete demnach mit dem Zuschlag. Das wird jetzt anders: Die Restriktio­nen des Vergaberechts greifen nun auch nach Vertragsschluss in das Verhältnis der Bauvertragsparteien ein, betont der Baurechtsspezialist.

Die Möglichkeit des Auftraggebers, aufgrund von Vergabefehlern zu kündigen, birgt großes Konfliktpotential auf deutschen Baustellen. Die neue VOB ermöglicht nämlich, dass der Auftraggeber während der Bauausführung auf Fehler im Vergabeverfahren zurückgreift und dem Auftragnehmer wie auch dessen Subunternehmer kündigt - und zwar unabhängig davon, ob der Bauunternehmer etwas mit dem Fehler im Vergabever­fahren zu tun hat. „Für öffentliche Auftraggeber stellt dies eine neue und günstige Gelegenheit dar, sich missliebiger Auftragnehmer zu entledigen. Dem Missbrauch die­ser Vorschrift sind Tür und Tor geöffnet“, erklärt Baurechtsspezialist Koenen.

Fehler im Vergabeverfahren

Neben den bisher geltenden wichtigen Gründen für eine Kündigung, die jeweils ein Ver­schulden des Auftragnehmers am Bau voraussetzen, kommen neue hinzu. §8 Abs. 4 VOB/B zählt drei wesentliche Vergaberechtsfehler auf, die den öffentlichen Auftrag­geber zur Kündigung des Vertrages berechtigen - nämlich dann, ...

  • wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt,
  • wenn der Auftragnehmer wegen eines zwingenden Ausschlussgrundes zum Zeit­punkt des Zuschlags nicht hätte beauftragt werden dürfen - etwa wenn ein Unternehmen seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern, Abgaben oder Beiträgen zur Sozialversicherung nicht nachgekommen ist und dies durch eine rechtskräftige Gerichts- oder bestandkräftige Verwaltungsentscheidung fest­gestellt wurde, sowie
  • wenn der Vertrag wesentlich geändert wird, denn dieser Grund greift gemäß §8 Abs. 5 VOB/B nicht nur beim Vertragsverhältnis zwischen öffentlichem Auftrag­geber und Hauptauftragnehmer, sondern bei sämtlichen Nachunternehmern. Da­bei muss es sich bei diesem Vergaberechtsverstoß noch nicht einmal um einen Fehler des Hauptunternehmers handeln.

Was aber bedeutet „wesentliche Änderung des Vertrages“?

§22 Abs. 1 EU VOB/A definiert, was unter „wesentlichen Änderungen“ im vergabe­rechtlichen Sinne zu verstehen ist. Danach sind alle Änderungen wesentlich, die dazu führen, dass sich der Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen Auftrag un­terscheidet. In all diesen Fällen kann der Auftraggeber den Bauvertrag aus wichtigem Grund kündigen. Leitgedanke dieser Neuregelung ist, dass der öffentliche Auftraggeber in diesen Fällen neu ausschreiben muss. Die Besonderheit ist, dass der Auftragnehmer keinen Einfluss mehr nehmen kann, denn alle drei Vergabefehler beruhen auf Fehlern im Vergabeverfahren. Hinzu kommt, dass der Auftraggeber bei diesen neuen Kündigungs­gründen die Auftragsentziehung nicht einmal vorher ankündigen muss. „Eine Fristset­zung macht in diesen Fällen allerdings auch keinen Sinn, denn einen Vergabe­verstoß kann niemand mehr reparieren. Weder diejenigen, die ihn begangen haben, aber erst recht nicht diejenigen, die mit ihm gar nichts zu tun haben. Die Folgen treten aller­dings unabhängig davon ein“, verdeutlicht Dr. Koenen.

Ein Beispiel

Eine Stadt schreibt den Neubau eines Rathauses mit einem Gesamtvolumen von sechs Millionen Euro aus. Ein Generalunternehmer erhält den Auftrag und beauftragt mehrere Gewerke mit der Ausführung. Darunter einen Fensterbauer mit einem Auftragsvolumen von deutlich unter 5.225.000 Euro.

Nach Beginn der Bauphase wird festgestellt, dass sich baulich bedingt der Auftrags­umfang maßgeblich erhöht. Die Stadt kündigt aufgrund dieser wesentlichen Änderung des Vertrages den Auftrag mit dem Generalunternehmer. Dieser wiederum kündigt da­raufhin alle Nachunternehmer, darunter den Fensterbauer, der aber genauso wie der Generalunternehmer nicht für diese „wesentliche Veränderung“ verantwortlich ist. Gleiches ist auch ohne Generalunternehmer für Teilaufträge möglich.

Kündigen in der gesamten Nachunternehmerkette

„Besonders prekär an der Neuregelung ist, dass dieser Kündigungsgrund auf sämtliche Bauverträge in der Nachunternehmerkette durchschlägt und zu Kündigungslawinen führen kann“, warnt Dr. Koenen. Die Vergaberechtsreform hat damit gravierende Aus­wirkungen auf eine Vielzahl von Bauvorhaben. Die Neuregelung wird vermutlich den Umgang der Bauvertragsparteien - insbesondere bei Nachträgen oder zusätzlichen Leistungen - grundlegend verändern. Bei jeder Modifikation oder Erweiterung des Ver­trages wird sich nun die Frage der Wesentlichkeit im vergaberechtlichen Sinne stellen. „Es besteht nicht nur ein gewisser Auslegungsspielraum des öffentlichen Auftragge­bers, sondern auch ein enormes Druckpotential. Dieses wird die Ausgangsposition bei Nachtragsverhandlungen deutlich zu Gunsten des Auftraggebers verschieben“, erklärt Dr. Koenen.

Hohes Konfliktpotential auch für Architekten

Die Brisanz dieser Neuregelung wurde übersehen. Die im Gesetzgebungsverfahren am Bau Beteiligten, insbesondere Bauunternehmer und Handwerker, müssen sich jedoch jetzt auf diese neue Situation einstellen. Auch für Architekten und deren Berufshaft­pflichtversicherer ist diese Regelung eine Herausforderung. Denn so manche wesentli­che Änderung beruht auf einer Planung, die nicht umgesetzt werden kann oder nach den Vorstellungen des Auftraggebers nicht umgesetzt werden sollte.

  • Wer haftet in einem solchen Fall, insbesondere für die Verlängerung der Bauzeit, die bei einer Neuausschreibung und -vergabe unumgänglich ist?
  • Ist eine derartige Bauzeitverlängerung überhaupt versichert?

Baurechtsspezialist Dr. Koenen: „Die neue VOB birgt Konfliktpotential, das man auf ei­ner Baustelle nicht gebrauchen kann. Jetzt heißt es, im Vorfeld Lösungen für den ,Fall der Fälle‘ zu erarbeiten. Denn: Risiken beim Bauen sollten rechtzeitig erkannt und ver­mieden werden".

siehe auch für zusätzliche Informationen:

Impressum | Datenschutz © 1997-2024 BauSites GmbH