Nemetschek: Gebäudetyp E mit BIM nachhaltig und kosteneffizient umsetzen
(15.9.2025) Der Gebäudetyp E verspricht einen Paradigmenwechsel hin zu mehr leistungsorientierter Innovation in der Bauplanung – weg von bisherigen Normen. Hierfür hat der Gesetzgeber Spielräume geschaffen, die sich jedoch nur mit modellbasierten, digitalen Prozessen effizient, rechtssicher sowie ökologisch und ökonomisch nachhaltig nutzen lassen. Der Building Information Modeling-Ansatz sowie digitale Zwillinge ermöglichen es, die Potenziale des Gebäudetyp E zu heben.
Bereits seit vielen Jahren leidet die Bauwirtschaft unter Kostendruck und Überregulierungen. Der Gebäudetyp E, setzt genau dort an – als ein Planungsansatz für vereinfachtes, suffizienteres Bauen. Begonnen hat diese Wendung mit dem „Recht auf Abweichung” (§ 63 BayBO) 2023 in Bayern und schaffte nun den Sprung auf die Bundesebene. Das Bundeskabinett beschloss am 6. November 2024 den Gesetzesentwurf zur zivilrechtlichen Umsetzung des Gebäudetyp-E-Modells im Bauvertragsrecht.
Erstmals schafft dieses neue Gesetz klare rechtliche Grundlagen dafür, auf technische Normen zu verzichten, wenn sie ausschließlich Komfort- oder Ausstattungsmerkmale betreffen, wie etwa Trittschallschutz oder Gebäudetechnik. Künftig gilt also, nur was ausdrücklich vertraglich vereinbart wurde, ist geschuldet. Das Gesetz entlastet damit Planungsverantwortliche und Bauausführende haftungsrechtlich und öffnet den Raum für neue innovative Lösungen. Mit Blick auf ESG-Ziele und den Kostendruck sind diese sehr willkommen.
10 % Einsparung
Bei den Herstellungskosten geht das Bundesjustizministerium von rund 10 % Einsparpotenzial aus, was pro Jahr im Wohnungsbau umgerechnet etwa 8 Mrd. Euro ausmacht. Je nach Maßnahme und Gebäudetyp sind sogar bis zu 25 % Einsparung denkbar, etwa durch den Verzicht auf überdimensionierte technische Ausstattung oder hochpreisige Komfortdetails. Diese politischen Annahmen werden von empirischen Projektauswertungen bestätigt und übertreffen sie sogar teils deutlich. Beispielsrechnungen zeigen, dass allein durch eine reduzierte Trittschalldämmung rund 56 Euro/m² eingespart werden können. Darüber hinaus zeigen sich wie folgt weitere besonders hohe Einsparpotenziale:
- bei optimierten Tragwerken und reduzierter technischer Erschließung (~200 Euro/m²),
- bei der Rücknahme brandschutzbedingter Sonderlösungen (~150 Euro/m²) sowie beim Verzicht auf Zertifizierungen
- oder überzogene Barrierefreiheitsanforderungen (jeweils 100 - 150 Euro/m²).
Diese Einzelmaßnahmen summieren sich zu einem belastbaren Maßnahmenbündel.
Konkrete Beispielzahlen werden aus Hamburg geliefert: Im Rahmen der „Initiative Kostenreduziertes Bauen” identifizierte die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE e. V.) im Auftrag der Stadt 65 Einzelmaßnahmen, deren kombinierter Effekt über 1.000 Euro/m² betragen kann – das entspricht über 20 % Reduktion bezogen auf das aktuelle Median-Kostenniveau von ca. 4.600 Euro/m² Wohnfläche.
Jedoch fordern diese Ersparnisse ihren Preis an anderer Stelle, etwa durch komplexere Nachweispflichten. Die Einhaltung der Schutzziele muss detailliert belegt werden, sobald man von Standrads abweicht. Um noch mehr Formulare zu vermeiden, sind durchgängig digitale Planungs- und Modellierungsprozesse gefragt: sie ermöglichen die Variantenbildung, Simulation und belastbare Dokumentation, um die Einsparpotenziale des Gebäudetyps E auszuschöpfen – ohne juristische Stolperfallen.
Neubauten mit neuer Freiheit
Der Gebäudetyp E erschließt im Neubau gezielte Spielräume, gerade beim Tragwerk, Ausbau und technischer Gebäudeausrüstung. Möglich sind dabei Abweichung nicht nur von Normen, sondern auch von technischen Baubestimmungen, solange die jeweiligen Schutzziele auf anderem Wege erreicht werden.
Ein praxisnahes Beispiel zeigt: Erhöhter Schallschutz wird oft durch massive Decken oder doppelte Wände umgesetzt – mit hohem Materialeinsatz, entsprechendem CO₂-Fußabdruck und erheblichen Mehrkosten. Mit Suffizienz-orientierter Planung lassen sich Bauteile hingegen auf das statisch erforderliche Maß begrenzen – funktional ausreichend, aber deutlich ressourcenschonender.
Solche Einsparpotenziale können durch digitales Planen modellbasiert ausgelotet und technisch korrekt dokumentiert werden. Im BIM-Modell lassen sich Abweichungen direkt bauteilgenau simulieren, etwa alternative Deckenaufbauten, reduzierte Dämmstärken oder vereinfachte Installationsführungen. Auf Basis semantischer Bauteildaten können Nachweise zur Statik, thermischen Hülle und Energieeffizienz automatisiert erstellt werden. Hiermit entstehen verlässliche Aussagen zu Behaglichkeit, zur Dauerhaftigkeit, zur Wirtschaftlichkeit und zur CO₂-Bilanz einzelner Varianten.
Diese Planungstiefe überträgt sich direkt in den Ausschreibungsprozess: Unterschiedliche Ausführungsoptionen können in Leistungsverzeichnissen systematisch erfasst, kalkuliert und transparent gegenübergestellt werden; ökologische Kennwerte wie Global Warming Potential (GWP) oder der nicht-erneuerbare Primärenergiebedarf (PENRT) inklusive. Die Präzise Kostenzurordnung nach DIN 276 wird durch digitale AVA-Prozesse erleichtert, die zeigen wie sich vereinfachte Standards konkret auf Kosten und THG-Emissionen auswirken.
Das Modell bildet gleichzeitig die Grundlage für eine präzise Mengenermittlung und eine nachvollziehbare Dokumentation. Wenn Planende und Bauherrschaft gemeinsam von anerkannten Regeln der Technik abweichen, ist diese unverzichtbar. Komplexe Zusammenhänge lassen sich visuell auflösen, Entscheidungsoptionen leicht verständlich aufbereiten.
Zukunftsfähigkeit für Bestandsgebäude
Gebäudetyp E und BIM greifen im Bestand besonders wirkungsvoll ineinander, da Altbauten nicht nach den heute allgemein anerkannten Regeln der Technik (aaRdT) errichtet wurden. Das müssen sie auch in Zukunft nicht, sofern die bauordnungsrechtlichen Schutzziele erfüllt bleiben. An dieser Stelle setzt der Gebäudetyp E an: statt bei Sanierungen, Umbauten oder Aufstockungen pauschal auf das heutige Regelwerk aufzurüsten, können Planende gezielt das technische Niveau des Bestands fortschreiben – funktional ausreichend, aber ressourcenschonend und wirtschaftlich tragfähig.
Im Bestand eröffnen sich damit sogar noch größere Potenziale als im Neubau, besonders dort, wo gezielt auf überzogene Komfortnormen verzichtet werden kann.
Um Abweichungen von den aktuellen Vorgaben präzise zu dokumentieren, technisch zu validieren und vertraglich abzusichern liefern digitale Zwillinge auf Basis eines interaktiven BIM-Modells die Grundlage. Dabei werden Punktwolken aus 3D-Scans der gebauten Realität mit dem Planungsmodell kombiniert.
Systematisch können Bauteilzustände, Materialkennwerte und Baualtersklassen erfasst werden, um den digitalen Zwilling des Gebäudes anzureichern. Auf dieser Basis lassen sich Varianten von Sanierungsmaßnahmen simulieren, etwa unterschiedliche Dämmung, Fenstertypen oder Installationskonzepte.
Beispielsweise beim Dachgeschossausbau können im Sanierungskontext auch Regelungserleichterungen zur Anwendung kommen, bei denen auf zusätzliche Stellplätze oder Aufzüge verzichtet werden kann – sofern die Schutzziele nicht berührt sind. Auch bei der technischen Gebäudeausrüstung lassen sich massive Einsparungen erzielen, wie etwa durch den Verzicht auf mechanische Lüftung oder überdimensionierte Heizlastauslegung. Solche Vereinfachungen zu kalkulieren und technisch abzusichern wird durch BIM ermöglicht.
Entscheidend dabei ist, dass eine Abweichung von den aaRdT nur dann als wirksam vereinbart gilt, wenn der Bauherr den funktionalen Unterschied versteht und dem bewusst zustimmt. Wenn dies nicht der Fall ist, droht eine Mängelgewährleistung trotz formeller Einigung. Die rechtssichere Dokumentation wird durch die digitalen Zwillinge erleichtert genauso wie die Kommunikation mit dem Bauherrn, indem Varianten verständlich visualisiert, technische, wirtschaftliche und architektonische Konsequenzen nachvollziehbar festgehalten werden. So wird aus der formalen Zustimmung eine belastbare Vereinbarung.
Digitale Resilienz durch BIM
Nicht nur die aktuelle Projektklarheit wird durch BIM geschaffen, sondern auch die Anschlussfähigkeit an kommende regulatorische Anforderungen. Denn gerade hier zeichnet sich vieles für die Zukunft ab: Mit der überarbeiteten EU-Gebäuderichtlinie (EPBD 2024) rücken erstmals CO₂-Grenzwerte für den gesamten Lebenszyklus in den Fokus, die ab 2028 für Neubauten gelten sollen. Gleichzeitig wurde das Gebäudeenergiegesetz (GEG) 2024 auf nationaler Ebene novelliert – mit verschärften Effizienzanforderungen und weiterreichenden Nachweispflichten, etwa für den Einsatz erneuerbarer Energien.
Sobald die EU-Vorgaben in deutsches Recht umgesetzt werden, sind bereits weitere Anpassungen des GEG absehbar.
Um beide Stränge frühzeitig und konsistent zu adressieren, schafft BIM die nötige Datenbasis: Energetische Kennwerte, Materialverbräuche und Emissionen lassen sich bereits im Entwurf modellgestützt erfassen und auswerten. Die Gebäude werden nicht erst im Betrieb auf Lebenszykluskosten, Primärenergiebedarf oder GWP durchleuchtet, sondern direkt in der Planungs- oder Sanierungsphase. Zudem können CO₂-reduzierte Varianten belastbar verglichen, Optimierungspotenziale identifiziert und regulatorische Schwellenwerte plausibel belegt werden.
Der digitale Zwilling bringt auch während der Bauausführung konkrete Vorteile, denn Punktwolken aus 3D-Scans ermöglichen den Abgleich mit dem Planungsmodell. Dies ist zur geometrischen Qualitätskontrolle, zur Dokumentation der Ausführung oder zur präzisen Abweichungsanalyse sinnvoll. Nachbesserungen lassen sich frühzeitig vermeiden, Abfall und Bauzeiten reduzieren, Qualität verbessern. Gleichzeitig erleichtert der modellgestützte Ansatz die ortsunabhängige Kollaboration der Projektteams – was sich positiv auf Fahrtkosten, Ressourcenverbrauch und CO₂-Bilanz auswirkt.
Aus diesen Gründen wird BIM zum strategischen Hebel digitaler Resilienz gegenüber technischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Veränderungen im gesamten Gebäudelebenszyklus. Es bildet ein Planungsinstrument für den gebäudetyp E, das Suffizienz, Innovation und Zukunftsfähigkeit vereint: reduziert auf das funktionale Wesentliche, gezielt erweitert, wo es energetisch, wirtschaftlich oder architektonisch sinnvoll ist.
Quelle: Nemetschek SE
siehe auch für zusätzliche Informationen:
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- Gebäudetyp-E-Gesetz beschlossen (Bauletter vom 11.11.2024)
siehe zudem:
- Bauunternehmen und Architektur-CAD im Bau IT-Magazin von Baulinks