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Wohnungsbau-Tag in Berlin: Neubau braucht „Milliarden-Booster“ vom Staat

(25.4.2023) Wichtige Kennzahlen für die Entwicklung des Wohnungsbaus in Deutschland beim Auftragseingang, den Baugenehmigungen und Baufertigstellungen sowie dem Finanzierungsvolumen sind im letzten halben Jahr innerhalb kürzester Zeit so stark eingebrochen wie seit Jahrzehnten nicht. Private und institutionelle Investoren vermelden zudem einen harten Stopp bei laufenden Wohnungsbauprojekten, Investoren kämpfen mit deutlich gestiegenen Bau- und Zinskosten. Jedes bereits genehmigte Projekt wird neu kalkuliert. Statt einem Ausbau der Basis von 300.000 neuen Wohnungen pro Jahr in Richtung 400.000 droht ein Absturz auf 250.000 Fertigstellungen in 2023, und für das kommende Jahr ist ein weiterer Rückgang in Richtung 200.000 zu befürchten.

Auf dem 14. Wohnungsbau-Tag in Berlin diskutierte das Verbändebündnis Wohnungsbau mit hochrangigen Politikern über die Frage, was, wie und wieviel Deutschland noch Bauen kann. (Bild: TSeifert) 

Das Verbändebündnis Wohnungsbau fand daher auf dem Wohnungsbautag in Berlin am 20. April deutliche Worte und wandte sich mit eindringlichen Worten an die Politik: „Es steht Spitz auf Knopf. Der Wohnungsmarkt steht am Kipppunkt“. Das Motto der Tagung brachte die Situation auf den Punkt: „Kann Deutschland noch bauen?“

Die Antwort gaben die Wissenschaftler des schleswig-holsteinischen Wohnungs- und Bauforschungs-Instituts ARGE (Kiel). Sie legten eine aktuelle Wohnungsbaustudie vor, die das Verbändebündnis Wohnungsbau beauftragt hatte. Studienleiter Prof. Dietmar Walberg warnt: „Wenn jetzt nichts passiert, dann gibt es beim Wohnungsbau keine Talfahrt, dann erleben wir beim Neubau von Wohnungen einen regelrechten Absturz“. Seiner Einschätzung nach ist der Wohnungsbau bislang noch gut aufgestellt: „Die heute vorhandenen Kapazitäten reichen, um 400.000 Wohnungen pro Jahr neu zu bauen. Immer vorausgesetzt, dass das Bauen auch möglich ist: ohne lähmende Genehmigungsprozesse, ohne hemmende Vorschriften und Auflagen. Und mit einer funktionierenden Finanzierung, vor allem einer von Bund und Ländern angepassten Förderung“.

Die für den Wohnungsbau in Deutschland führenden sieben Organisationen und Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft, die sich im „Verbändebündnis Wohnungsbau“ zusammengeschlossen haben und den Wohnungsbau-Tag veranstalt haben, richteten dazu eine klare Forderung an Bund und Länder: Der Staat müsse seine Fördergelder für den Wohnungsbau „massiv aufstocken“:

  • Konkret seien für den sozialen Wohnungsbau bis 2025 mindestens 50 Milliarden Euro an Fördermitteln notwendig. Diese sollten von Bund und Ländern als Sondervermögen zur Verfügung gestellt werden. Nur mit den zusätzlichen Mitteln könne es gelingen, 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr neu zu bauen.
  • Der Staat müsse zudem dem bezahlbaren Wohnungsbau intensiv unter die Arme greifen: Für 60.000 Wohnungen mit einer Kaltmiete zwischen 8,50 Euro und 12,50 Euro seien in dieser Legislaturperiode des Bundes noch einmal mindestens 22 Milliarden Euro notwendig.
  • Zudem müsse man den Bauüberhang – also die rund 900.000 zwar genehmigten, aber noch nicht fertig gebauten Wohnungen – ins Visier nehmen.
Die Wohnungsbau-Studie „Status und Prognose: So baut Deutschland – So wohnt Deutschland“ führte das in Kiel ansässige Wohnungs- und Bauforschungs-Institut Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. durch. (Bild: Pestel 2023) 

Vor allem aber jene 40%, die bislang nur auf dem Papier stehen und deren Baubeginn noch aussteht: „Reihenweise werden die Bauvorhaben auf Eis gelegt, weil sie nicht mehr finanzierbar sind. Es kommt jetzt darauf an, sie für den bezahlbaren und für den sozialen Wohnungsbau zu gewinnen. Bevor Tausende von Wohnhäusern gar nicht gebaut werden, sollte der Staat Bauprojekte, die auf der Kippe stehen, retten: Er sollte ein Sonderprogramm zur ‚Wohnungsbau-Soforthilfe‘ auflegen: ein Förderpaket mit Zuschüssen und günstigen Krediten. Auch Umplanungen muss der Staat dabei unterstützen. Wichtig sind außerdem deutliche Abstriche bei Auflagen, um das Bauen so günstiger zu machen“, forderte das Verbändebündnis. So könne es gelingen, Wohnungen, die mit freifinanzierten Mieten geplant waren und deren Bau vor dem Aus stehe, doch noch an den Markt zu bringen – und zwar mit bezahlbaren Mieten und als Sozialwohnungen.

Darüber hinaus sei es gerade in Metropolregionen, wo der größte Wohnungsmangel herrsche, wichtig, „jeden Quadratmeter zu nutzen, um umzubauen und aufzustocken“. Es komme jetzt darauf an

  • die Dachaufstockung endlich voranzutreiben,
  • leerstehende Büro- und Gewerbeimmobilien zu bezahlbaren Wohnungen und in Sozialwohnungen umzubauen,
  • nicht mehr genutzte oder benötigte Gewerbeflächen in Wohnflächen zu verwandeln und
  • Genehmigungsprozesse zu erleichtern sowie Hemmnisse in Gesetzen und Verordnungen beiseite zu schaffen.
Während die Bevölkerungzahl durch Zuwanderung steigt, stagniert der Wohnungsneubau. (Bild: Pestel 2023) 

Die Untersuchung der ARGE macht deutlich: Noch nie seit dem zweiten Weltkrieg waren die Bedingungen für den Wohnungsbau so schlecht: „Noch nie gab es gleichzeitig einen so hohen Bedarf von über 700.000 Wohnungen, so hohe Baukosten, so hohe Zinssprünge und vor allem auch so hohe Auflagen und Vorschriften für das Bauen wie heute. Der Wohnungsbau steckt in einer absoluten Ausnahmesituation“, erklärte Studienleiter Prof. Walberg.

Der Wohnungsbau-Tag warnte: Eine „Weiter-so-Politik“ werde zum Abbau von Baukapazitäten führen. Wenn der Bau jetzt aber Manpower und Technik verliere, dann „läuft bald nichts mehr“. Die Baubranche stehe vor einer Zäsur: „Der Beschäftigungsabbau geht rasend schnell. Er läuft auf dem Bau sechs Mal schneller als der Personal-Aufbau. Geht der Bau jetzt in die Knie, dann dauert es also Jahrzehnte, bis er wieder auf die Beine kommt und das Niveau erreicht, das er bis heute mit Mühen aufgebaut hat: 920.000 Beschäftigte im Bauhauptgewerbe“, so Studienleiter Walberg.

Ein Einbruch beim Wohnungsbau werde nicht nur fatale Folgen für die Versorgung der Bevölkerung mit dringend benötigtem Wohnraum haben. Auch volkswirtschaftlich stehe viel auf dem Spiel: „Der Wohnungsbau ist ein starker Motor der Binnenkonjunktur – vor allem in der Krise. An der gesamten Wertschöpfungskette Wohnungsbau hängen über 3 Millionen Arbeitsplätze“, so Studienleiter Walberg.

Die Akteure der Bau- und Immobilienbranche forderten auf dem Wohnungsbau-Tag, der Staat müsse jetzt kräftig an allen möglichen Stellschrauben drehen, um das sich abzeichnende „Desaster auf dem Wohnungsmarkt in letzter Minute noch abzuwenden“: Neben einem entschlossenen „Milliarden-Booster bei der Förderung“ sei eine konsequente Überprüfung von Gesetzen, Verordnungen und Normen notwendig. „Es geht darum, Kostentreiber drastisch zu reduzieren und Standards zu senken“, so ARGE-Institutsleiter Walberg.

Während im Westen vor allem in Ballungsgebieten ein starkes Defizit am Wohnungsmarkt besteht, gibt es im Osten und im Saarland starke Überhänge, die es zu nutzen gilt. (Bild: Pestel 2023) 

Die Studie nennt konkrete Zahlen: So machen Kommunen den Quadratmeter Wohnfläche im Neubau im Schnitt um gut 170 Euro teurer. Auf das Konto des Bundes gehen mehr als 400 Euro. Der Staat drehe über eine ganze Reihe von Punkten an der Preisspirale. Kostentreibend seien zum Beispiel Forderungen an Schall- und Brandschutz sowie Vorgaben bei Stellplätzen, für Außenanlagen und beim Material für Gebäudefassaden.

Dies führt nach Angaben der Wissenschaftler dazu, dass die aktuellen Baukosten einer Mietwohnung in Großstädten im Schnitt bei 4.070 Euro pro Quadratmeter liegen. Hinzu komme noch der Grundstückspreis, der mit durchschnittlich 900 Euro zu Buche schlage. Die aktuell von der ARGE ermittelten Kosten für den Neubau von Mietwohnungen in großen Städten liegen damit bei knapp 5.000 Euro.

Das Verbändebündnisses Wohnungsbau gibt mit Blick auf das Ergebnis der Studie folgende drei zentrale Handlungsempfehlungen:

  • Ausreichende Förderung des Neubaus, insbesondere für soziales und bezahlbares Bauen und Wohnen.
  • Noch nicht begonnene, genehmigte Wohnungen im Bauüberhang zu Sozialwohnungen oder Wohnungen im Segment bezahlbares Bauen und Wohnen werden lassen und Baulandflächen ausweisen.
  • Beim Neubau auch die Potenziale im Bestand nutzen.

Die Botschaft an die Politik ist unmissverständlich: „Es geht darum, jetzt alle Register zu ziehen. Ohne ein drastisches Aufstocken der staatlichen Förderung ist der Wohnungsneubau in Deutschland nicht mehr machbar.“

Die vom Verbändebündnis Wohnungsbau beauftragte Wohnungsbau-Studie „Status und Prognose: So baut Deutschland – So wohnt Deutschland“ kann unter diesem Link kostenfrei als pdf heruntergeladen werden.

Weitere Informationen können per E-Mail an bauen-und-wohnen-in-deutschland.de angefordert werden.

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