Interview: Entwicklung Transluzenter Wärmedämmung (TWD) à la Wacotech
(16.7.2016) Seit 2004 berichtet Baulinks immer wieder über Wacotech und die Entwicklung transparenter / transluzenter Wärmedämmprodukte, die von dem Herforder Unternehmen betrieben wird. Jetzt hat Dipl.-Ing. Oliver Kehl, geschäftsführender Gesellschafter der Wacotech GmbH & Co. KG., 15 Fragen rund um diese smarte Art der Wärmedämmung, des Sonnen- und Blendschutzes sowie der Tageslichtnutzung beantwortet. Das Interview führte Heike Blödorn nach Rücksprache mit verschieden Baufach-Redaktionen.
1. Frage: Was versteht man unter transluzenter Wärmedämmung?
Kehl: Transluzente Wärmedämmung oder TWD bezeichnet Materialien, die eine gute Wärmedämmung mit einer hohen Lichtdurchlässigkeit verbinden. Dies können Waben-, Kapillar- und Hohlkammerstrukturen sein oder Aerogele, ein lichtdurchlässiges Granulat. Alle Materialien streuen das einfallende Licht, daher der Name „Transluzente Wärmedämmung”. Es hat sich aber auch der Begriff „Transparente Wärmedämmung“ durchgesetzt.
2. Frage: Wacotech produziert TWD für Profilglasfassaden. Was gab den Anstoß dazu?
Kehl: Da ich mich schon im Studium mit der Thematik der Wärmedämmung und der Tageslichtnutzung beschäftigt habe, ließ mich dieses Thema nicht mehr los und so haben mein Bruder und ich das Unternehmen gegründet und immer weiter geforscht und entwickelt. Ich hatte immer die Vision, dass sich durch die Entwicklung eines komplett neuen Materials mit guten Eigenschaften mit dem entsprechenden Herstellungsverfahren neue Anwendungsgebiete entwickeln lassen. Die muss man natürlich erst finden, dazu braucht man Mut, Zeit und Durchhaltevermögen. Das hat sich ja dann auch bestätigt. Und es können Anwendungsmöglichkeiten entstehen, an die man vorher noch gar nicht gedacht hat.
Angefangen habe ich im Bastelkeller meines Vaters. Später habe ich im Wintergarten meines Großvaters die erste Maschine zur Produktion von Wabenpaneelen entwickelt. Die Maschinen haben wir damals auch verkauft, so kamen die ersten Einnahmen ins Unternehmen.
Im Profilglas kann eine gute Wärmedämmung nur mit transluzenten Wärmedämmeinlagen erreicht werden. Profilglas ist ein offenes 2-schaliges Glassystem, wobei Entwässerungsschlitze im unteren Rahmen für Kondensatabfluss sorgen. Ein Befüllen mit Edelgas und eine hochselektive Wärmeschutzbeschichtung, wie im Isolierglas eingesetzt, sind im Profilgas technisch nicht machbar.
3. Frage: Wie funktioniert die TWD?
Kehl: Die transluzente Wärmedämmung ist der Natur abgeschaut. Unser Glasgespinst TIMax GL funktioniert wie das Fell eines Eisbären, das lichtdurchlässig und Wärme dämmend ist. Die weißen Haare des Eisbären sind transparent und hohl. Durch Streuung und Reflexion gelangt das Sonnenlicht auf die schwarze Haut des Eisbären, wo es in Wärme umgewandelt wird.
TIMax GL ist dem Eisbärenfell optisch ähnlich. Es besitzt eine Lichtdurchlässigkeit von 30 bis 50% und erreicht seine gute Wärmedämmung durch das eingeschlossene, stehende Luftpolster. Zudem absorbiert das Produkt einen großen Teil der Wärmestrahlung im Infrarotbereich. Dies ist eine wichtige physikalische Eigenschaft, um eine gute Wärmedämmung zu erreichen. Das Material besteht aus gesponnenen Glasfasern in Standarddicken von 70 und 100 mm. Es lässt sich komprimieren und füllt daher den Scheibenzwischenraum des Profilglases komplett aus. Der Hauptdämmeffekt wird durch das stehende Luftpolster in der Dämmung erzeugt. Einen weiteren Effekt liefert die hohe Absorption der Infrarotstrahlung durch die Glasfasern.
Foto von
David Franck aus dem Beitrag „Tausende
Quadratmeter Glasgespinst als Dämmung und Sonnenschutz im Industriebau“
vom 16.7.2016.
4. Frage: Welche Anwendungsmöglichkeiten für die TWD bestehen?
Kehl: Vielen ist der Begriff TWD von der solaren Wandheizung oder Trombe-Wand bekannt, ein System der passiven Solarenergienutzung. Dieses kommt aber nur noch selten zum Einsatz (siehe Grafik dazu aus dem Beitrag Fachverband Transparente Wärmedämmung prägt neuen Begriff: „Solare Umweltwand“ vom 21.1.2005).
Heute überwiegen Anwendungen im Bereich Tageslichtnutzung schwerpunktmäßig im Industrie- und Gewerbebau, in Sportstätten und Schulen, in öffentlichen Gebäuden und zunehmend in der designorientierten Architektur, hier sogar bei Einfamilienhäusern. Da Profilgas sich bis zu einer Höhe von ca. sechs Metern verlegen lässt und auch für gebogene Fassaden einsetzbar ist, sind die Fassadenöffnungen in der Regel großflächig. Bei großflächigen Verglasungen mit südlicher und westlicher Ausrichtung bietet sich die Verwendung der Wärmedämmung in Kombination mit einer Sonnenschutzeinlage an. In vielen Fällen kann nach bauphysikalischer Auslegung auf eine außen liegende Verschattung verzichtet werden.
Die TWD wird aber auch in Membrandächern, Lichtbändern oder Sonnenkollektoren eingesetzt. Membrandächer sind leichte und in der Regel lichtdurchlässige Tragwerkskonstruktionen und finden ihren Einsatz in Stadiondächern, Sporthallen, Museen oder Universitäten. Wird die Konstruktion mit zwei Folienhäuten ausgeführt, kann mit TIMax GL als innenliegende Dämmeinlage der Wärmeschutz deutlich verbessert werden.
5. Frage: Gibt es beim Einbringen der TWD Probleme? Kann diese beispielsweise absacken?
Kehl: Nein, dieses Problem besteht heute nicht mehr. Allerdings ist es manchmal schwierig, die Profilglaswand an schwer zugänglichen Stellen zu versiegeln. Dies können Bereiche hinter Säulen oder Stützen oder vor Dachbalken oder Dachvorsprüngen sein. Für einen guten Zugang empfehlen wir immer einen Abstand vom 30 cm zwischen Glas und Vorbau.
Organische Form mit transluzenter Wärmedämmung: Logistikzentrum der
Saegeling Medizintechnik in Heidenau (Foto von
Seidel+Architekten, Bild vergrößern)
6. Frage: Wann setzt man welches Profilglas ein und welche Ug-Werte werden erreicht?
Kehl: Profilglas besteht aus U-förmigen Glasbahnen, die in ein Rahmenprofilsystem eingesetzt und seitlich mit Silikon abgedichtet werden, so dass eine durchgehende Glasfassade entsteht. Im Gegensatz zu Glasfassaden in Pfosten/Riegel-Konstruktion können Fensterräume ohne Rastermaß in beliebigen Längen endlos und einer Höhe bis ca. sechs Meter ausgefüllt werden. Hierbei wird Glasbahn neben Glasbahn in ein vorgefertigtes Aluminium-Rahmensystem verlegt.
Profilglas wird für Warmfassaden in der Regel als zweischaliges System eingesetzt. Das ungedämmte Standardsystem hat einen U-Wert von ca. 2,8 W/m²K. Es wird für Industrieverglasungen ohne größere Anforderungen an den Wärmeschutz eingesetzt. Mit selektiver Hardcoat-Beschichtung (Plus 1,7) wird der U-Wert bis auf 1,8 W/m²K im zweischaligen Profilglas herabgesetzt. Kommt unsere Dämmeinlage TIMax GL zum Einsatz, so erreichen wir im zweischaligen Profilglas im Standardaufbau und einem Scheibenzwischenraum von 55 mm einen Ug-Wert von 1,2 W/m²K.
In einem wärmetechnisch optimierten
Profilglassystem wie bei unserem System Ug 0,8 verbessert unsere Dämmeinlage
TIMax GL den Wärmeschutz weiter auf bis 0,79 W/m²K. Dazu werden zwei
einschalige Profilglassysteme mit 152 mm gegeneinander versetzt und der
Scheibenzwischenraum mit zwei Lagen TIMax GL gedämmt. Dadurch verbessern
sich auch die Lichtstreuung und der sommerliche Überhitzungsschutz (g-
7. Frage: Ist es eigentlich möglich, den Abstand zwischen den Scheiben zu vergrößern, um mehr TWD einzubringen und somit bessere Ug-Werte zu erreichen?
Kehl: Würde man das System Ug 0,8 mit zwei Lagen TIMax GL wie schon erwähnt erweitern und drei Lagen TIMax GL einbringen, so ginge dies auf die Lichtdurchlässigkeit des Systems, die sicherlich unter 10% liegen würde. Die verbesserten Dämmeigenschaften würden durch eine deutlich reduzierte Lichtdurchlässigkeit erkauft.
8. Frage: Welche Ug-Werte möchten Sie in den nächsten zwei Jahren erreichen und wie?
Kehl: Unser Ziel ist es, die Ug-Werte unter 0,5 W/m²K bringen, was für kostenoptimierte lichtdurchlässige Glasfassaden einer Revolution gleich käme. Wir können das mit einer Kombination aus dem Glasgespinst TIMax GL und der hochtransparenten Wabe TIMax CA erreichen. Die Wabe hat in senkrechter Aufstellung eine bessere Wärmedämmung als TIMax GL und nimmt kaum Licht weg. Daher sind größere Scheibenzwischenräume als 150 mm machbar, und die Dämmeigenschaften können durch die Stärke des Wandaufbaus eingestellt werden.
Foto aus dem Beitrag „Barcode-Fassade
mit transluzenter Wärmedämmung für GaLaBau- und Tiefbauunternehmen“ vom
26.9.2015 (Bild vergrößern)
9. Frage: Gibt es Unterschiede in der Anwendung der TWD in Deutschland zu anderen Ländern?
Kehl: In den nördlichen Ländern Europas liegt der Schwerpunkt auf einer optimalen Wärmedämmung. Die EnEV wird nicht nur in Deutschland immer strenger, sondern auch in England und Skandinavien. Wir haben hierauf reagiert und in den letzten Jahren Profilglassysteme mit deutlich verbesserten Dämmungen entwickelt. In südeuropäischen Ländern aber auch in der Türkei oder den USA ist der Schutz vor sommerlicher Überhitzung ein ebenso großes Thema. In diesen Ländern wird zur Kühlung der Gebäude oft mehr Energie aufgewendet als zur Beheizung. Hier ist oft der niedrige g-Wert unserer Einlage TIMax GL ein wesentliches Entscheidungskriterium.
10. Frage: Gibt es Verfahren / Baustoffe, die ähnliche Resultate erzielen?
Kehl: Wir sind mit unserem Material TIMax GL der Marktführer für Profilglasfassaden. Ein Grund dafür ist sicherlich das gute Preis/Leistungsverhältnis. Es gibt nur wenige Alternativen für Profilglasfassaden, wobei andere Produkte entweder deutlich teurer oder aufwändiger zu installieren sind.
11. Frage: Wie sind die Kosten für eine Profilglasfassade mit TWD im Gegensatz zu einer Fassade in Pfosten-Riegel-Konstruktion?
Kehl: Werden großflächige Profilglasflächen verbaut, kann man von einer Kostenreduktion von 30 bis 50% ausgehen. Zudem kann in vielen Fällen auf einen außenliegenden Sonnenschutz verzichtet werden. Die gute Lichtstreuung des Produktes verbessert die Raumausleuchtung mit natürlichem Tageslicht in der Tiefe des Raumes.
12. Frage: Existieren Systeme, die von den Kosten attraktiver sind als Ihre TWD?
Kehl: Doppelstegplatten-Fassaden aus Polycarbonat werden ebenfalls für Industriehallen eingesetzt. Auch diese Systeme erreichen mittlerweile gute Dämmwerte. Allerdings ergeben sie nicht die Werthaftigkeit und Dauerbeständigkeit von Glasfassaden. Daher wird Profilglas mit TWD im Gegensatz zu Doppelstegsystemen zunehmend in designorientierten Projekten eingesetzt.
13. Frage: Wie sieht es mit der Entsorgung / Nachhaltigkeit der TWD aus?
Kehl: TIMax GL wird zu ca. 50% aus recyceltem Glas hergestellt. Grundsätzlich kann es dem Verwertungsprozess nach der Nutzungsperiode wieder zugeführt werden. Es ist allerdings fraglich, ob das nach mehreren Dekaden auch geschieht.
Foto von
Manfred Jahreiss aus dem Beitrag „Sommer-
und winterlicher Wärmeschutz mit transluzenter Wärmedämmung“ vom
16.10.2012 (Bild vergrößern)
14. Frage: Mittlerweile gibt es Firmen, die Dämmstoffe auf Basis von Aerogelen entwickeln. Denken Sie an solch eine Entwicklung für Profilglasfassaden?
Kehl: Aerogele sind in Einzelfällen schon im Profilglas verbaut worden. Hierfür wird das Aerogel in Doppelstegplattenstreifen verfüllt, die an den Enden verschlossen werden. Die Doppelstegplatten werden auf der Baustelle in den Scheibenzwischenraum des Profilglases eingestellt. Dieses System ist recht kostspielig und aufwändig zu transportieren und installieren. Die Doppelstegplatten füllen den Scheibenzwischenraum im Profilglas nicht komplett aus und es kann sich dadurch eine Konvektionsströmung ausbilden, die den sehr guten Dämmeigenschaften des Aerogels wieder entgegenwirkt.
15. Frage: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Kehl: Es ist schwer, eine Prognose für die nächste Dekade abzugeben. Profilglas mit TWD ist trotz der hohen Zahl der schon realisierten Projekte im Vergleich zur Pfosten-Riegel-Fassaden ein Nischenmarkt. Wir werden die nächsten Jahre nutzen, um unsere TWD in neuen Märkten zu etablieren. Dabei kann eine TWD grundsätzlich in allen zweischaligen Systemen zum Einsatz kommen, die eine Lichtdurchlässigkeit kombiniert mit guter Wärmedämmung benötigen. Dies können Lichtbänder und Lichtkuppeln für Industriebauten aber auch Membrandächer sein.
Weitere Informationen zur
transluzenten/transparenten Wärmedämmung und zu Sonnenschutz-
siehe auch für zusätzliche Informationen:
- Winter Visual Arts Center mit transluzenter Wärmedämmung von Wacotech in der Profilglasfassade (24.6.2021)
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- Gebäude der Visuellen Künste an der Uni von Iowa mit TWD aus Deutschland (15.2.2017)
- Transluzente Wärmedämmung verbindet - z.B. hell aber blickdicht zwei Baukörper (25.11.2016)
- weitere Details...
ausgewählte weitere Meldungen:
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- Fachverband Transparente Wärmedämmung prägt neuen Begriff: "Solare Umweltwand" (21.1.2005)
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- Transluzente Wärmedämmung mit Profil (10.3.2004)
siehe zudem:
- transparente Wärmedämmung, Profilbauglas und Fassadensysteme im Fassaden Magazin bei BAULINKS.de
- Literatur / Bücher über Glasarchitektur und Glasfassade bei Amazon