Eisenkiesbeton: Schwerbeton mit Strahlenschutzfunktion
- Neuartiger Eisenkiesbeton mit einer Rohdichte von 5,2 t/m³ schützt Patienten und Personal im Partikeltherapie-Zentrum Marburg vor Strahlenbelastung
(28.1.2008) Am 20. August 2007 wurde auf den Marburger Lahnbergen der Grundstein für eine medizinische Hightech-Einrichtung gelegt: Ab 2010 können hier jedes Jahr bis zu 3.000 Krebspatienten mit der Partikeltherapie behandelt werden - Fachkreise sprechen von einem Quantensprung in der Tumorbehandlung. Das Partikeltherapie-Zentrum Marburg (siehe Google-Maps) wird in Deutschland die zweite und weltweit die dritte Anlage sein, bei der neben Protonen zusätzlich Kohlenstoff-Ionen zum Einsatz kommen. Die Partikeltherapie ist ein biologisch hochwirksames Verfahren zur Bekämpfung von Krebsleiden. Selbst Tumore, die wegen ihrer Lage bisher nur schwer oder gar nicht zu behandeln waren, können mit dieser sehr präzisen Technologie therapiert werden: Die Partikelstrahlen geben ihre Dosis erst direkt im Zielbereich ab, das umliegende gesunde Gewebe wird nur gering belastet. Die Rhön-Klinikum AG (RKA) aus Bad Neustadt an der Saale errichtet die Anlage gemeinsam mit Siemens Medical Solutions auf dem Gelände der Universitätsklinikum Gießen/Marburg GmbH, einer Tochter der RKA. Für die Generalplanung verantwortlich zeichnete das Architekturbüro Hammeskrause aus Stuttgart.

Der Neubau des Partikeltherapie-Zentrums, ein eingeschossiger Behandlungstrakt mit angeschlossenem Verwaltungsbau, entsteht im Grünen unweit der Bestandsgebäude der Uniklinik. Nicht nur bei Medizintechnik und Ausstattung wird der Komplex von 100 mal 70 Metern über Hightech auf dem neuesten Stand verfügen. Auch der zum Strahlenschutz von Patienten und Personal eingesetzte Schwerbeton oder "Eisenkiesbeton" - so der interne Sprachgebrauch der am Bau Beteiligten - ist eine technologische Neuerung.
"Ein Eisenkiesbeton dieser Güte und dieser Rohdichte ist in Deutschland und meines Wissens in Europa noch nicht angewendet worden", betont Ralf Schumacher, Werksgruppenleiter der Cemex Deutschland AG, die die Baustelle im Auftrag der Hentschke Bau GmbH, Niederlassung Ichtershausen, mit Transportbeton versorgt.
Drei baugleiche Einhausungen aus Eisenkiesbeton schirmen Anlagenbestandteile des Beschleunigers ab. Hier wird der Partikelstrahl erzeugt werden, und von hier wird die meiste Strahlung ausgehen. Je 80 Kubikmeter Beton mit einer Masse von etwa 430 Tonnen lieferte die Cemex in drei Einsätzen Ende Oktober und Anfang November aus dem Transportbetonwerk Lahntal-Goßfelden. Die längste der drei technisch aufwändigen Betonagen dauerte 26 Stunden.
Der Eisenkiesbeton der Druckfestigkeitsklasse C 20/25 bringt es auf eine Rohdichte von mindestens 5,2 Tonnen pro Kubikmeter - mehr als das Zweifache eines Normalbetons. Zur Rezeptur gehören neben einem Zement CEM III/B 32,5 N-NW/HS aus dem Werk Schwelgern der Cemex WestZement GmbH und einem Betonverflüssiger von Cemex Admixtures auch Schwerzuschläge: das Eisenerz Hämatit und drei Fraktionen eines Stahlgranulats in Körnungen von 0 bis 8 Millimeter. Diese Rezeptur - unter anderem von der Atomaufsichtsbehörde und den Spezialisten des TÜV Bayern genehmigt - verhindert, dass die hochintensiven Partikelstrahlen unkontrolliert nach außen dringen.
Die
Eisenkiesbeton-Bauteile sind 4,50 Meter hoch und 1 bis 2,30 Meter stark. Ihr
Grundriss folgt den unregelmäßigen Formen der Beschleunigeranlage, und sie
werden beiderseits mit zusätzlichen Wandungen aus Abschirmbeton C 30/37 mit
einem CEM III/B 32,5 N-NW/HS aus dem Werk Schwelgern ummantelt. So
summiert sich die Stärke der Wand im kritischen Bereich auf etwa 4 Meter.
Bei der Neuentwicklung der Schwerbetonrezeptur legten die Hentschke Bau GmbH und die Betontechnologen von Cemex besonderes Augenmerk auf die Balance zwischen hoher Rohdichte und ausreichender Verarbeitungsfähigkeit. "In einer intensiven wochenlangen Entwicklungsarbeit ist es uns gelungen, die Rohdichte exakt einzustellen", erklärt Carsten Becker, Prüfstellenleiter bei Cemex im Gebiet Mittelhessen-Siegerland. "Bei 5 Tonnen Beton fällt der Stahlanteil mit 4 Tonnen ins Gewicht. Trotz der geforderten Frisch- und Festbetonrohdichte mussten wir eine unter baupraktischen Einbaubedingungen verarbeitungswillige Betonzusammensetzung erreichen, damit unser Kunde den Beton ohne Nesterbildung einbauen konnte. Auch sollten sich der Zuschlag und das Stahlgranulat in der Bindemittelmatrix gleichmäßig verteilen, und nicht aufgrund ihrer hohen Massen absinken: In Kopf- und in Fußhöhe war derselbe Schutz zu gewährleisten. Wir haben das Funktionsprinzip in Laborversuchen gründlich geprüft und vorbereitet, da Praxisversuche hier zu aufwändig und kostspielig gewesen wären. Die Ausführung hat auf dieser Basis einwandfrei und zur Zufriedenheit unseres Kunden funktioniert. Vom Vertrieb über das Labor und das Lieferwerk bis zur Baustelle haben alle Beteiligten Höchstleistungen gebracht und perfekt zusammengearbeitet."
Als Schalung setzte die Baufirma ein Streckmetall mit millimetergroßen Öffnungen ein (Eingangsbild oben). Die Wahl dieses Schalungstyps diente der Qualitätssicherung: Die Ausführenden konnten beim Betoneinbau sichtmäßig kontrollieren, ob die Schlämme an jeder Stelle gleichmäßig austrat, der Beton somit lunkerfrei und ohne Einschlüsse und Nester war.
Die Betontechnologen stellten den Eisenkiesbeton der Konsistenz F3 auf ein Ausbreitmaß von 450 Millimetern ein. In dieser Konsistenz konnte der Baustoff im unteren Wandbereich dem Druck der folgenden Lagen standhalten; bei einer geringeren Konsistenz wäre der Beton nicht mehr verarbeitungswillig gewesen. Mit Hilfe der Feuchtemessung der Gesteinskörnung konnte der Wassergehalt des Wasser-Zement-Hämatit-Gemenges exakt kontrolliert und eingestellt werden, bevor es in den Fahrmischer geladen wurde. Ein zu hoher Wasseranteil im Beton hätte die Qualität gemindert, auf der anderen Seite ist ein ausreichendes Maß an chemisch gebundenem Wasser notwendig, damit der Strahlenschutz wirksam wird.

Als von der Feuchtemessung ausgenommener Rezepturbestandteil konnte der Stahl direkt in den Fahrmischer gegeben und erst dort den anderen Betonbestandteilen beigemischt werden. Werksgruppenleiter Ralf Schumacher konzipierte mit dem Instandsetzungsteam des Werks eine spezielle Technik: Nachdem ein Fahrmischer mit den anlagegemischten Rezepturbestandteilen beladen war, setzte der Fahrer unter die eigens angefertigten Beladestation auf dem Werkshof, über der ein Kran einen Big Pack mit 2,1 Tonnen Stahlgranulat positionierte. Ein Werksmitarbeiter öffnete den Big Pack, so dass der Stahl über eine Dosiervorrichtung ins Fahrzeug rutschte. Um die Fahrzeughydraulik nicht zu überlasten, wurde die Zuladung auf 2 Kubikmeter Schwerbeton, von denen jeder Stahlgranulat aus zwei Big Packs enthielt, beschränkt. 466 Big Packs oder mehr als 35 LKW-Ladungen Stahl verarbeiteten die Mitarbeiter des Werks Lahntal-Goßfelden in dem Eisenkiesbeton.
Die Rhön-Klinikum AG (RKA) aus Bad Neustadt an der Saale errichtet die Anlage gemeinsam mit Siemens Medical Solutions auf dem Gelände der Universitätsklinikum Gießen/Marburg GmbH, einer Tochter der RKA.
siehe auch für weitere Informationen:
- Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum
- CEMEX Deutschland AG
- hammeskrause architekten
- Hentschke Bau GmbH
- Rhön-Klinikum AG (RKA)
- Universitätsklinikum Gießen/Marburg GmbH
- Siemens Medical Solutions
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siehe zudem:
- Betonbau, Beton und Gewerbebau auf Baulinks
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