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Frühe Planungsfehler setzen bei Großprojekten oft unaufhaltsame Kostenspirale in Gang

(24.5.2015) Wenn die Kosten bei öffentlichen Großprojekten aus dem Ruder laufen, so wurden entscheidende Fehler oft bereits in der Vorplanungsphase und bei der Projekt-Governance gemacht. Das zeigen u.a. Fallstudien ...

  • zum Berliner Flughafen BER (125 Prozent Kostenüberschreitung) und
  • zur Elbphilharmonie (146 Prozent).

Deren Autor Prof. Dr. Jobst Fiedler sagt: „In beiden Fällen hätte ein Großteil der Kos­tenüberschreitungen nicht mehr verhindert werden können, nachdem die Projektorga­nisation falsch aufgesetzt und Verträge auf unzureichender Planungsbasis geschlos­sen waren.“ Die Fallanalysen sind Bestandteil der Studie „Großprojekte in Deutsch­land - zwischen Ambition und Realität“ unter der Leitung von Prof. Dr. Genia Kostka, Hertie School of Governance - siehe auch Baulinks-Beitrag „Studie: Öffentliche Groß­projekte sind im Durchschnitt 73% teurer als geplant“ vom 4.5.2015.

BER: Muster-Negativbeispiel

Die BER-Fallstudie analysiert zehn aufeinander aufbauende Fehler: Mit der Flughafen­gesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) wurde eine nicht ausreichend kompetente Ein­richtung mit dem Projekt betraut, der ein Aufsichtsrat ohne das notwendige Fachwis­sen zur Seite gestellt wurde. Kein unabhängiges, externes Controlling wurde installiert, das Fehlentscheidungen hätte anzeigen können. Der Verzicht auf einen Generalunter­nehmer verlagerte das finanzielle Risiko zu 100 Prozent auf den Steuerzahler. Die Auf­teilung in viele kleine Gewerke führte zu einem exorbitanten Steuerungsaufwand, der wiederum von Anfang an gleichzeitiges Planen und Bauen erforderlich machte.

BER-Baustelle im Oktober 2011 (Foto vergrößern)

Die Vielzahl von Planänderungen, die Koordinierungsprobleme, insbesondere bei der Brandschutzanlage, der unzureichende Informationsfluss sowie das „Chaosmanage­ment“ rund um den geplatzten Eröffnungstermin im Juni 2012 sind Folgen der verfehl­ten Governance-Entscheidungen weit vor dem ersten Spatenstich. Sie führten zu ei­ner Kostensteigerung von 2,5 Mrd. Euro auf bislang 5,4 Mrd. Euro und zu einer Zeit­überschreitung von 200 Prozent (7,5 statt 2,5 Jahre). „Aus einer Governance-Per­spektive ist der BER ein Muster-Negativbeispiel. Während bei anderen Projekten oft deren Neuartigkeit zu höheren Kosten führt, etwa durch die Anwendung wenig erprob­ter Technologien, ist der BER - von der Brandschutzanlage abgesehen - ein Standard-Großprojekt. Mit externem Sachverstand und einer zeitlich und finanziell ausreichend bemessenen Planungsphase hätten sämtliche Fehler vermieden werden können“, so Fiedlers Fazit.

Elbphilharmonie: Selbstüberschätzung der Verantwortlichen

Die Hamburger Elbphilharmonie - mit Kosten von 865 Mio. Euro statt der geplanten 352 Mio. Euro und einer Zeitüberschreitung von sieben Jahren (200 Prozent) bei einer geplanten Fertigstellung 2017 - weist einen teilweise vergleichbaren Fehlermix auf: Ei­ne untaugliche Projektorganisation mit zu wenig Fachwissen, zu hoher politischer Ein­flussnahme und einem verfrühten Vertragsabschluss, was ebenfalls gleichzeitiges Pla­nen und Bauen nach sich zog.

Ein unabhängiges Controlling fehlte auch hier. Das finanzielle Risiko übernahm die öf­fentliche Hand in unnötigem Ausmaß. „Die Elbphilharmonie ist kein Standard-Projekt, sondern zählt durch die aufwändige Architektur zu den generell risikoreicheren so­genannten Signature-Projekten. Planung und Organisation wurden diesem Anspruch aber in keiner Weise gerecht. Die Fehlerspirale wurde in erster Linie durch Selbstüber­schätzung der Verantwortlichen und entsprechend überambitionierte Zielvorstellungen in Gang gesetzt“, urteilen die Autoren der Fallstudie Jobst Fiedler und Sascha Schus­ter.

Elbphilharmonie-Baustelle im Oktober 2013 

Um die Probleme in den Griff zu bekommen, empfehlen die Forscher vier Schritte:

  1. In die Aufsichts- und Steuerungsgremien sollten Personen mit Kompetenz in der Privatwirtschaft und im Bau einbezogen werden .
  2. Öffentliche Bauherren sollten Projektpartner mit hoher Expertise in die Projekt­organisation einbeziehen, um gegenüber privaten Baufirmen auf Augenhöhe agieren zu können.
  3. Das Risikomanagement sollte durch die Einbeziehung privaten Kapitals verbes­sert werden - entweder durch finanzielle Mitbeteiligung an einer Realisierungs­gesellschaft oder durch Beauftragung eines Generalunternehmers.
  4. In jedem Fall sollte vor der Auftragsvergabe eine ausreichende Planungstiefe erreicht sein, da Planänderungen regelmäßig hohe Kosten nach sich ziehen.

Darüber hinaus machen Genia Kostka und ihr Team Vorschläge, wie die Transparenz über Baurealisierung und Kosten verbessert werden kann. So empfehlen sie den Auf­bau einer öffentlich zugänglichen Datenbank, in der große Infrastrukturprojekte sys­tematisch erfasst und ausgewertet werden nach dem Vorbild der britischen Major Project Authority. Außerdem sollte in der öffentlichen Planung eine Referenzklassen­prognose eingesetzt werden. Die sich daraus ergebenden sektorspezifischen Refe­renzklassen kalkulieren für Projekte einen „Risiko-Aufschlag“ für potentielle Kosten­steigerungen.

Unter hertie-school.org/infrastructure finden sich sowohl kurze Ergebniszusammen­fassungen als auch ausführliche Darstellungen der übergreifenden Studie und der Fallanalysen. Eine wissenschaftliche Buchpublikation befindet sich in Vorbereitung.

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