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„Stuttgarter Holzbrücke“: Erste integrale Massivholzbrücke mit Gehbelag aus Carbonbeton

(27.11.2019) 2019 fand im baden-württembergischen Remstal die erste interkommunale Landesgartenschau statt. In diesem Zusammenhang wurden die ersten drei integralen Massivholzbrücken - weltweit - realisiert. Integral bedeutet in diesem Fall, dass der hölzerne Brückenkorpus monolithisch mit den Betonwiderlagern verbunden ist. Ihnen wird aufgrund der neuartigen Bauweise eine erheblich längere Lebensdauer vorhergesagt als herkömmlichen Holzstegen. Dazu soll auch ein Gehbelag aus Carbonbeton beitragen.

Foto © Solidian 

Das Remstal ist ein knapp 80 km langes Flusstal östlich von Stuttgart. Von Mai bis Oktober 2019 fand hier in 16 Städten und Ortschaften besagte Gartenschau statt. In diesem Zusammenhang wurden in den Gemeinden Urbach und Weinstadt drei Fuß- und Radwegbrücken aus Holz errichtet. Die lichte Öffnungsweite ihrer Spannweiten liegt zwischen 16 und 38 m.

„Stuttgarter Holzbrücke“

Die Bauweise der drei Brücken basiert auf der sogenannten „Stuttgarter Holzbrücke“, mit deren Hilfe die Planungsbeteiligten den nachhaltigen Werkstoff Holz wieder in den Fokus rücken wollen. Der Hintergrund dazu: Holzbrücken gelten vielfach als nicht dauerhaft und wartungsaufwendig. Ein Forschungsprojekt der Materialprüfanstalt (MPA) an der Universität Stuttgart zeigte in diesem Zusammenhang: Die häufigste Schadensursache sind stauende Nässe ...

  • im Auflagerbereich und
  • unterhalb undicht gewordener Abdichtungen.

Darüber hinaus haben bewitterte Anschlusskonstruktionen, die nach der Durchfeuchtung nicht ausreichend trocknen können, eine geringe Lebensdauer. Kurz gesagt: Schadensursache sind häufig Mängel im konstruktiven Holzschutz. Auf der Basis dieser Erkenntnis entwickelten die Forscher der MPA gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Knipplers Helbig sowie Cheret Bozic Architekten und dem Holzbauer Schaffitzel die „Stuttgarter Holzbrücke“.

Visualisierung aus dem Beitrag „Deutscher Holzbaupreis 2017 geht u.a. an aktuellen Seriensieger“ vom 28.5.2017 (Bild © ARGE + FMPA Stuttgart)

Bei diesem Bauwerk handelt es sich um eine Fußgänger- und Radwegbrücke mit blockverklebtem Holztragewerk aus Fichten-Brettschichtholz, das sich im Querschnitt nach unten hin verjüngt. In das Holz sind Gewindestangen eingeklebt (Einklebelänge 1,20 m), die am Ende des Brückenträgers überstehen und im Widerlager fest einbetoniert werden:

Foto © Schaffitzel Holzindustrie GmbH + Co. KG  


die weiteren Fotos © Solidian 
  

Der Biegedruck wird über speziell ausgebildete Kontaktflächen eingeleitet. Ein Stahlwinkel, der schon während des Einsetzens des vorgefertigten Überbaus auf die Widerlager genutzt werden kann, überträgt die vertikalen Querkräfte. Die derart ausgebildete Rahmenkonstruktion ist auf Pfahlgründung im Dammbereich aufgesetzt. Insgesamt entsteht so ein lager- und fugenloser Anschluss. Mehrere Kunststoffdichtbahnen schützen das Holz dabei vor Nässe. Zudem wird die Feuchtigkeit des Holzes mit Hilfe von Sensoren konstant überwacht.

Belag aus Carbonbeton

Obwohl bei den vorhergegangenen Forschungsarbeiten Holz als Material für den Gehbelag im Gespräch war, entschieden sich die Planer bei den drei realisierten Brücken letztendlich für einen weiteren sehr modernen Baustoff: Carbonbeton.

Zur Erinnerung: Bei Carbonbeton wird nicht mit Stahl sondern mit Carbonfasern bewehrt. Die Hauptvorteile von Carbonbeton gegenüber herkömmlich armiertem Beton besteht darin, das Carbon anders als Stahl nicht rostet. Dies hat zur Folge, dass die Betonüberdeckung wesentlich schlanker ausfallen kann, womit sich auch das Gewicht der einzelnen Elemente reduziert. Zusammen mit den bis zu sechsmal höheren Festigkeiten im Vergleich zum Bewehrungsstahl bietet dieser Baustoff also neue Gestaltungsmöglichkeiten bei der Planung von filigranen Elementen.

Carbonbeton als Gehbelag hat gegenüber Holz weitere Vorteile: So kann Holz bei Regen rutschig werden. Die Oberfläche von Carbonbeton hingegen bleibt griffig. Und Holz nimmt bei Nässe Feuchtigkeit auf, dies passiert bei Carbonbeton nicht.

Solidian hat sich auf das Thema Textil-/Carbonbeton spezialisiert und arbeitete bereits bei anderen Projekten mit den Stuttgarter Ingenieuren. Gemeinsam legten sie fest, dass die Gehschicht in Form von Fertigteilelementen realisiert werden sollte - was dem gesamten Konzept der Brücke entsprach, deren Körper ja ebenfalls in der Holzbauwerkstatt vorgefertigt worden war. Sie bestimmten, dass die einzelnen Betonfertigteile 2,40 m breit und 8,00 m lang sein und eine Dicke von lediglich 7 cm aufweisen sollten. Zudem entschieden sie sich für die Bewehrung mit einem epoxidharzgetränkten Carbongitter (Q95/95-CCE-38). Dieses bietet der Hersteller in den maximalen Abmessungen 1,2 m x 5,0 m oder als Rollenware an.

Zustimmung im Einzelfall

Da carbonbewehrter Beton nicht unter die eingeführten technischen Baubestimmungen fällt und keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung hat, ist (derzeit noch) die Zustimmung im Einzelfall (ZiE) erforderlich. Es gelang den Verantwortlichen die Zustimmung lediglich auf Grundlage von Erfahrungswerten und vorhandenen Bemessungsmodellen zu erlangen, wobei die Gutachten des Instituts für Massivbau der der RWTH Aachen sehr hilfreich waren. Versuche mussten nicht durchgeführt werden - was in Deutschland bisher wohl einmalig ist. Dies sparte Kosten und verkürzte die Zeit, die für die Zustimmung erforderlich war.

Die Lebensdauer der Stuttgarter Brücke wird auf circa 80 Jahre veranschlagt. Sie soll damit deutlich älter werden als so manche herkömmliche Holzbrücke. So können die Bewohner und Urlauber des Remstals sie also noch sehr lange nutzen.

btw: Wie kam die Stuttgarter Brücke zu ihrem Namen?

Stuttgart kann auf eine lange Tradition im Bereich Forschung und Planung von Brücken zurückblicken. Beispielsweise haben die Stuttgarter Ingenieure Fritz Leonhardt und Jörg Schlaich Brückenbaugeschichte geschrieben. Indem die Planungsbeteiligten ihrer Neuentwicklung den Namen „Stuttgarter Brücke“ verliehen, wollten sie an die Stuttgarter Brückenbauinnovationen erinnern und auf die beispielhafte Stuttgarter Tradition der interdisziplinären Zusammenarbeit von Ingenieuren und Architekten mit Planern aus Wissenschaft und Industrie hinweisen. Das Konzept der „Stuttgarter Brücke“ wurde übrigens 2017 mit dem deutschen Holzbaupreis ausgezeichnet - siehe Beitrag vom 8.5.2017.

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