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Dem Betonkrebs durch AAR auf der Spur

(10.11.2015) Wenn Betonbauwerke bröckeln, dann ist häufig eine Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) die Ursache. Sie wird durch eindringende Feuchtigkeit ausgelöst und schädigt weltweit Brücken, Staumauern und Betonfundamente, so dass sie saniert oder sogar rückgebaut werden müssen. Forscher des Paul Scherrer Instituts (PSI) und der Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology (Empa) haben nun wohl erstmals die Kristallstruktur des AAR-Abbauprodukts entschlüsselt - ein erster Schritt zu einem möglichen Gegenmittel.

Nahaufnahme von Rissen in Beton, die aufgrund einer Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) entstanden sind. Bild: Empa (Bild vergrößern)

Im Zuge der Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) entsteht ein Material, das mehr Raum einnimmt als der ursprüngliche Beton und letzteren im Laufe von Jahrzehnten langsam von innen heraus sprengt. Dem genauen Aufbau dieses Materials sind die PSI- und Empa-Forscher nun nachgegangen. Sie haben herausgefunden, dass die Atome sehr regelmäßig angeordnet sind - es sich also um einen Kristall handelt. Auch seinen Auf­bau haben sie bereits entschlüsselt: Es ist eine Silizium-Schichtenstruktur, die in die­ser Form noch nie zuvor beobachtet worden sei. Diese Erkenntnis verdanken die For­scher Messungen an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI. Die Ergebnisse sollen im nächsten Schritt dabei helfen, langlebigeren Beton zu entwickeln.

Die Idee zur Strukturanalyse am PSI kam von Andreas Leemann, einem Forscher im Bereich Betontechnologie an der Empa. Leemann beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema AAR, doch bislang konnte nur die chemische Zusammensetzung des Reaktionsprodukts bestimmt werden. Die Struktur blieb unbekannt - in der Literatur ist bislang meistens von einem Gel die Rede. Diese Annahme konnte nun widerlegt werden. „Die Risse im Beton, in denen sich das Material ausdehnt, sind typischerwei­se 5 bis 50 Mikrometer breit - zu klein für eine klassische Röntgenstrukturanalyse“, erläutert Leemann. Erst mit der speziell fokussierten Strahlung am SLS war es mög­lich, die winzigen Kristalle zu erkennen und zu charakterisieren.

Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR), ein weltweites Problem

Die AAR ist eine chemische Reaktion, die weltweit Betonbauten unter freiem Himmel betrifft. In der Schweiz sollen zahlreiche Brücken und bis zu 20 Prozent der Staumau­ern von AAR betroffen sein. Die Proben für die Forschungsarbeit stammen von einem Brückenfundament aus Stahlbeton in Graubünden, das 1969 erstellt wurde.

Bei der Alkali-Aggregat-Reaktion sind die Zutaten des Betons selbst das Problem:

  • Zement - immerhin der zentrale Hauptbestandteil von Beton - enthält Alkalime­talle wie Natrium und Kalium. In die Betonkonstruktion eindringende Feuchtigkeit wird dadurch zu einer Lauge.
  • Die zweite Hauptzutat von Beton sind Sand und Kies. Diese wiederum bestehen u.a. aus Silkaten - beispielsweise Quarz oder Feldspat. Mit diesen Silikaten rea­giert nun das alkalische Wasser und führt zur Bildung von Alkali-Kalzium-Silikat-Hydrat.
  • Das Alkali-Kalzium-Silikat-Hydrat kann Feuchtigkeit aufnehmen, dehnt sich aus und sprengt mit der Zeit den Beton von innen.

Der Prozess startet typischerweise fünf bis zehn Jahre, nachdem das Bauwerk errich­tet worden ist. Zunächst entstehen winzige Risse, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind. Im Laufe von drei, vier Jahrzehnten wachsen die Risse auf beträchtliche Breite und bedrohen schließlich die Dauerhaftigkeit des gesamten Bauwerks.

Lichtmikroskop-Aufnahme eines Gesteinskorns in einem AAR-geschädigten Beton: Die AAR hat das Gesteinskorn gesprengt. Der Riss weitet sich allmählich und wird durch das Reaktionsprodukt der AAR gefüllt. Jedes Mal, wenn Feuchtigkeit eindringt, quillt das Füllmaterial, übt Druck aus und vergrössert den Riss erneut. Bild: Empa (Bild vergrößern)

Ein neuer Kristall

Besagtes Probenstück aus der 1969 erbauten Brücke in Graubünden wurde an der Empa so lange heruntergeschliffen, bis eine hauchdünne Probe von 0,02 Millimeter Di­cke übrig blieb. Diese Probe ließ sich an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS mit einem extrem schmalen Röntgenstrahl durchleuchten, der 50 Mal dünner ist als ein menschliches Haar. Mittels sogenannter Diffraktionsmessungen und einer anschließen­den Datenanalyse konnten die PSI-Forschenden schließlich die Kristallstruktur des Materials genau bestimmen.

Es zeigte sich, dass das Alkali-Kalzium-Silikat-Hydrat eine bisher undokumentierte Si­lizium-Schichten-Kristallstruktur aufweist. „Normalerweise darf derjenige, der einen noch nicht katalogisierten Kristall entdeckt, diesem einen Namen geben“, erklärt PSI-Forscher Rainer Dähn. „Allerdings muss es sich um einen in der Natur gefundenen Kris­tall handeln. Daher sind wir in diesem Fall nicht zu der Ehre gekommen“, so der For­scher schmunzelnd. Die Kenntnisse über die Kristallstruktur könnte bald dabei helfen, den Betonkrebs in den Griff zu bekommen: „Es gibt prinzipiell die Möglichkeit, dem Be­ton organische Stoffe beizumengen, die den Spannungsaufbau reduzieren können“, resümiert Empa-Forscher Leemann. „Unsere Ergebnisse stellen diese Überlegungen nun auf ein wissenschaftliches Fundament und könnten die Basis zu neuen Material­entwicklungen sein.“

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