Expertengremium soll Handbuch für Großprojekte entwickeln
(24.3.2013; upgedatet am 29.6.2015) Bei vielen öffentlichen und privaten Bauprojekten gibt es Baukostenüberschreitungen und Terminprobleme. Aus diesem Anlass muss für alle staatlichen Ebenen sowie die Privatwirtschaft analysiert werden, welche grundsätzlichen Ursachen den Problemen zugrunde liegen. Bundesbauminister Peter Ramsauer hat hierzu eine Reformkommission für Großprojekte mit hochkarätigen Experten aus der Praxis ins Leben gerufen. Sie soll im April 2013 zum ersten Mal tagen.
Der Minister betonte, dass Bürger zunehmend die Fähigkeit von Politik und Wirtschaft anzweifeln, Großprojekte erfolgreich durchführen könnten. Hinzu komme der Ärger über offensichtlich zu niedrig kalkulierte Baukosten. Das Vertrauen in die Bauherren und die Akzeptanz von Großprojekten müsse gestärkt werden: „Wir wollen Lehren aus den Fehlern bei aktuellen, politisch geerbten Großprojekten ziehen und Leitlinien für künftige Großprojekte aufstellen. Die Kommission wird sich mit dem gesamten Bauprozess von Großprojekten befassen - von der ersten Projektidee bis zur Inbetriebnahme. Nach dem Motto: Erst planen und kalkulieren, dann bauen!“
Das Ziel der Initiative sei es, volkswirtschaftlichen Schaden und Gefahren für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauindustrie abzuwenden. Qualität und Funktionalität der Projekte müssten im gesetzten Zeit- und Kostenrahmen erreicht werden. Insbesondere für die öffentliche Hand als Bauherren komme es auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern an. Die durch die Kommission gewonnenen Erkenntnisse sollen sowohl dem öffentlichen als auch dem privaten Sektor zugute kommen.
Als Ergebnis der Kommissionsarbeit soll ein „Handbuch Großprojekte“ erarbeitet werden, das das Fachwissen bündelt und als Handlungsempfehlung den Beteiligten an Großprojekten zur Verfügung gestellt werden soll - ähnlich dem bereits vom BMVBS erstellten „Handbuch Eisenbahnfahrzeuge“ für die Zulassung von Zügen oder dem „Handbuch Bürgerbeteiligung“ für die Einbindung der Bevölkerung sowie mehr Transparenz bei Baumaßnahmen.
Die Kommission
Besetzt werden soll die Kommission mit hochkarätigen Experten aus der Praxis und Spitzenkräften aus Wirtschaft, Wissenschaft und von Verbänden. Sie sollen sich unter anderem mit folgenden Aspekten auseinandersetzen:
- Planungen für Großprojekte müssen in der Frühphase vertieft werden. Die Kostenentwicklung von der Entwurfs- über die Ausführungsplanung bis zur Abnahme muss antizipiert und abgebildet werden. Kosten- und Zeitpläne müssen mit angemessenen Risikopuffern versehen, Kostenrisiken eingerechnet werden.
- Die Kommission muss prüfen, inwieweit bei Großprojekten Bonus-/Malus-Regelungen für eine pünktliche Fertigstellung möglich sind - ähnlich wie im Straßenbau, z.B. bei der Sanierung der A 115 (AVUS). Wichtig sind darüber hinaus klare Verantwortlichkeiten und Haftungsregelungen für Kosten, Qualität und Termine.
- Wenn es notwendig ist, Vorschriften zu ändern, sollte dies von der Kommission angestoßen werden. So dürfe es z.B. beim Vergaberecht keine Denkverbote geben. Denn: Das billigste Angebot ist nicht immer das beste Angebot. Es kann sogar am Ende das teuerste sein.
- Die Kooperation der Beteiligten muss verbessert werden. Benötigt wird eine neue Kultur des Miteinanders, die Bauherren, Planer, Unternehmen, aber auch Politik und die Bürgerinnen und Bürger einbezieht.
Die Arbeit der Reformkommission ist mit einer Laufzeit von ein bis zwei Jahren angelegt, also über die Legislaturperiode hinaus.
DAI: „auf öffentlicher Seite immer weniger qualifiziertes Fachpersonal“
Die planenden und bauenden Berufe werden oft in einem Atemzug mit genannt. Dass die Ursachen aber oft struktureller Art sind, bleibt außen vor. Der Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine unterstützt daher die Initiative des Bundesbauministeriums: Die planenden und bauenden Berufe in Deutschland sowie die deutsche Bauwirtschaft würden weltweit eine sehr gute Reputation genießen. Das solle auch so bleiben. Stuttgart21, Großflughafen Berlin-Brandenburg oder Elbphilharmonie Hamburg - gleichsam die „negative Leuchttürme“ - setzten den insgesamt guten Ruf jedoch aufs Spiel.
„Wir kritisieren aber auch den Umstand, dass auf öffentlicher Seite immer weniger qualifiziertes Fachpersonal zur Verfügung steht“, betont DAI Präsident Prof. Dipl.-Ing. Christian Baumgart. Wenn bei den öffentlichen Auftraggebern keine angemessene Expertise mehr vorhanden ist, wer soll dann den Bauausführenden kompetent zur Seite stehen?“ Grundsätzlich, so Baumgart weiter, gehe der Ansatz der Bundesregierung aber in die richtige Richtung. „Was wir brauchen ist Transparenz, mehr Kostensicherheit und vor allem auch mehr Termintreue, um das Vertrauen der Menschen zurück zu gewinnen. Wenn derlei Großprojekte in diesem Land nicht mehr möglich sind, weil Vertrauen und Verlässlichkeit Misstrauen und auch Missgunst gewichen sind, dann setzen wir die Zukunft des Planens und Bauens in unserem Land unnötig aufs Spiel“, führt Baumgart weiter aus.
Bauindustrie begrüßt Einrichtung der Kommission und plädiert für eine faire Chance von ÖPP-Modellen
„Wir brauchen in Deutschland dringend einen gesamtheitlichen Ansatz bei der Umsetzung von Großprojekten. Von der Projektidee bis zur Inbetriebnahme sollte der gesamte Bauprozess durchleuchtet werden. Auch die Rahmenbedingungen des Vergabe-, Haushalts- und Zuwendungsrechts gehören auf den Prüfstand,“ mit diesen Worten begrüßte der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Professor Thomas Bauer, die Absicht von Bundesbauminister Dr. Peter Ramsauer.
Für die Bauwirtschaft ergebe sich daraus die große Chance, dass längst erkannte Fehlentwicklungen - insbesondere im Planungs-, im Vergabe- und im Haushaltsrecht - endlich angepackt würden, erklärte Bauer. Für Auftraggeber und Auftragnehmer sei es von beiderseitigem Vorteil, wenn Systemschwächen wie die mangelnde Abstimmung von Planen und Bauen, die unzureichende Projektvorbereitung und die Vergabe an den „Billigsten“ überwunden werden könnten. Bauer: „Wir sollten dabei endlich auch unsere Vorbehalte gegenüber Partnerschaftsmodellen überwinden. Partnering- und ÖPP-Modelle haben eine faire Chance verdient.“
Update vom 29.6.2016: Abschlussbericht der Reformkommission
Die Reformkommission „Bau von Großprojekten“ kam heute (29.6.) unter Leitung von Bundesminister Alexander Dobrindt zu ihrer abschließenden Sitzung in Berlin zusammen. In ihrem Endbericht legten die Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und öffentlicher Hand konkrete Empfehlungen vor, wie Zeit- und Kostenpläne bei großen Infrastrukturprojekten künftig besser eingehalten werden können - siehe Beitrag vom 29.6.2015.
siehe auch für zusätzliche Informationen:
- Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS)
- DAI Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V.
- Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.
- Nicht um jeden Preis: Umgang mit bundeseigenen Großprojekten (4.7.2016)
- Bundeskabinett beschließt „Aktionsplan Großprojekte“ (14.12.2015)
- Abschlussbericht der Reformkommission „Bau von Großprojekten“ und erste Reaktionen (29.6.2015)
- Studie: Öffentliche Großprojekte sind im Durchschnitt 73% teurer als geplant (4.5.2015)
- VDI 7001 Blatt 1: Schulungskonzept für die Kommunikation bei Großprojekten (15.2.2015)
- weitere Details...
ausgewählte weitere Meldungen:
- Bauletter vom 17.4.: Reformkommission für Großprojekte nimmt ihre Arbeit auf
- Concerto: EU-weite Datenbank macht Ergebnisse von Energie-Effizienzprojekten zugänglich (19.3.2013)
- WDR/ARD-Dokumentation: 40.000 Euro teure Sonderreinigungen vor BER-Politikerbesuchen (10.3.2013)
- „Creative Engineering“ von DOM publishers zur Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren (10.2.2013)
- City 3.0 - Städtebau nach der Finanzkrise (27.1.2013)
- „Charter of Dubai“ - Manifest für einen kritisch-transformativen Städtebau (10.12.2012)
- Städtebauliche Großprojekte: mehr Kosten als Nutzen? (3.12.2012)
- Bauletter: Mehrheit der Deutschen hat kein Verständnis für das Chaos am Berliner Flughafen (16.8.2012)
- ARGE Baurecht: Baubegleitende Planung erhöht Kosten um bis zu 30 Prozent (24.6.2012)
- Fachbuch: Projektbezogene Kooperationsmodelle bei Baumaßnahmen im Bestand (15.6.2012)
- BMVBS-Handreichung „Stadtteilkonzepte für Integration“ für die kommunale Praxis (12.6.2012)
- „Ganzheitliches Planen und Bauen“ auf 44 Seiten von der Bay. Ingenieurekammer-Bau (12.6.2012)
- Morgenstadt: Impulse für eine lebenswerte Stadt der Zukunft (19.4.2012)
- Vergabeerleichterungen bei Bauaufträgen ohne positive Wirkung (27.2.2012)
- Baukultur des Öffentlichen. Bauen in der offenen Gesellschaft (2.1.2012)
- Hochtief dementiert Kostenexplosion bei Elbphilharmonie (1.1.2012)
- BMVBS-Umfrage: ÖPP schaffen architektonische und funktionale Qualität (14.11.2011)
- Präqualifikation von Bauunternehmen wird verbindlich (3.2.2008)
- WISO über den Millionenbetrug beim Autobahnausbau der A72 (18.6.2007)
- Betrug beim öffentlichen Einkauf von Bauleistungen vermeiden (12.7.2004)
siehe zudem:
Baupolitik, Baurecht sowie das Architektur- und Immobilien-Magazin auf Baulinks