Libeskinds Betonkeil durchs MHM in Dresden
(18.10.2009) In Dresden wird das traditionsreiche Militärhistorische Museum nach Plänen von Daniel Libeskind umgestaltet. Das ehemals sächsische Arsenalgebäude wird in seinen historischen Zustand zurückgebaut und durch ein integriertes neues Gebäude erweitert. Beim Betonieren der für Libeskind typischen Raumelemente galt es eine Reihe betontechnologischer Probleme zu lösen. Dies betraf sowohl die Schalung der teilweise schrägen und in verschiedene Richtungen geneigten Sichtbetonwände als auch die Verdichtung sowie die spezielle Rezeptur des Sichtbetons.
Das in der Dresdner Albertstadt gelegene, aus dem 19. Jahrhundert stammende Militärhistorische Museum (siehe Google-Maps und/oder Bing-Maps), seit 1994 Leitmuseum der Bundeswehr, gehört mit seinen rund 1,2 Millionen Objekten zu den weltweit größten Militärmuseen. Die Sammlung dokumentiert 600 Jahre deutsche Militärgeschichte vom späten Mittelalter bis heute anhand von Waffen, Munition, Großtechnik, Uniformen, Orden, Fahnen und anderem mehr. Ein bedeutender Teil des Inventars stammt aus dem Königlich-Sächsischen Arsenal und aus dem Bestand der NVA (Armee der DDR).
Aber auch Weltraumtechnik wie der Landeapparat des Raumschiffes "Sojus 29" von 1978 und der aus demselben Jahr stammende Raumanzug von Sigmund Jähn, dem ersten Deutschen im Weltall, gehören zur Sammlung. "Vom Uniformknopf bis zum U-Boot" - so wird oftmals etwas scherzhaft das breite Spektrum der Exponate umschrieben.
Spektakulärer Erweiterungsbau zur grundlegenden Neuorientierung
Ein von Daniel Libeskind konzipierter Erweiterungsbau soll die Basis für eine grundlegende Neuorientierung des Museums schaffen. Die aufregende und kühne Konstruktion schneidet einen Keil in die räumliche Ordnung des Arsenalgebäudes. Dadurch - so Libeskind - "öffnet das Museum den Raum zum Nachdenken über organisierte Gewalt. Es ermöglicht eine Distanz von der Kontinuität der militärischen Auseinandersetzungen und eröffnet den Blick auf die grundsätzlichen anthropologischen Fragestellung". Außerdem gibt der Erweiterungsbau den Blick frei auf das historische Zentrum Dresdens. Es erhebt sich über die Dachlandschaft des Altbaus, als von außen sichtbares Zeichen der Erneuerung und von innen erlebbare Öffnung zur Stadt (Bild).
Die Fassade des Neubaus ist konzipiert vor dem Hintergrund des Altbaus, als Antwort und in Kontrast zu ihm. Der Offenheit und Transparenz der neuen Fassade steht die Abgeschlossenheit und Massivität der existierenden Fassade gegenüber. So wie die Altbaufassade die Strenge der autoritären Vergangenheit repräsentiert, in der sie entstand, so soll die Neubaufassade nach der Intention des Architekten die Offenheit einer demokratischen Gesellschaft und die veränderte Rolle ihres Militärs reflektieren. In der Ansicht sind beide zugleich sichtbar, und die eine durch die andere. Diese Wechselbeziehung entspricht auch dem Nebeneinander von neuen und alten Räumen im Innern des Gebäudes: Das strenge Stützenraster des Altbaus wird kontrastiert mit dem stützenfreien Raum des Neubaus. Beide bilden den Charakter des neuen Militärhistorischen Museums.

Schräge Wände in höchster Sichtbeton-Qualität
Charakteristisch für die Architektur von Libeskind sind die schrägen, in verschiedenen Richtungen geneigten Sichtbetonwände, die als markante Raumelemente in den Altbau eingezogen werden. Sie wurden vor Ort betoniert und, um die vom Planer zum Teil geforderte hohe, beidseitige Sichtbeton-Qualität sicherzustellen, durch ein so genanntes "Sichtbeton-Team" begleitet. Dieses Team, dem Vertreter des Architekten-Teams, des Schalungsherstellers, des bauausführenden Unternehmens sowie des Beton-Lieferanten Dyckerhoff angehören, plant, koordiniert und begleitet die gesamten Bauarbeiten, insbesondere die zur Anwendung kommenden Methoden zur Betonage der Sichtbetonwände.




Die beim Betonieren der schrägen Wandelemente zu lösenden Probleme reichten von schalungstechnischen Fragen über die Wahl der "richtigen" Betonrezeptur bis hin zum fachgerechten Verdichten des Betons. So wurde ein spezielles Schalungssystem entwickelt, welches dem bei den geneigten Wänden entstehenden extremen Frischbetondruck standhalten konnte. Aus statischen und schalungstechnischen Gründen mussten die Wände bis zum Ende der Rohbausphase komplett eingeschalt bleiben.
Bei der Betonzusammensetzung entschied man sich für einen Beton C30/37, XC4 (WU), XA1, XD1, XF1, mit der Konsistenzklasse F2 (plastische Konsistenz). Entwickelt wurde die spezielle Rezeptur, die ein gleichmäßiges Betonieren sowohl im Winter wie im Sommer gestattet, vom Labor Ost der Dyckerhoff Beton GmbH & Co.KG. Mit dem von der Deuna-Zement gelieferten Dyckerhoff MZ-Normal CEM II/B-M 32,5 R (S-LL) - AZ kam dabei ein Zement mit speziell abgestimmten Eigenschaften zum Einsatz. Insbesondere die Qualität des darin enthaltenen Kalksteinmehls trug wohl zu einer sehr robusten Betonrezeptur bei, die auch bei den hier notwendigen plastischen Betonen eine hohe Sichtbetonqualität ermöglichte. Gefordert war bei diesem Bauvorhaben die Sichtbetonklasse 4 nach DBV-Merkblatt "Sichtbetonwände", also mit höchsten Anforderungen wie sie für "Betonflächen mit besonders hoher gestalterischer Bedeutung und repräsentative Bauteile im Hochbau" gelten. Geliefert wurde der Transportbeton vom Dyckerhoff-Werk Dresden.
Zum Einbau des plastischen Betons (Konsistenzklasse F2) wurden seitens der ausführenden Rohbaufirma, der Hentschke Bau GmbH aus Bautzen, spezielle Rüttelgassen entwickelt. Sie bestehen aus Spiralwendeln für Innenrüttler mit einem Durchmesser von 80 mm, wobei der Bewehrungsdraht immer an der "Nicht-Sichtbetonseite" befestigt wurde. So wurde sichergestellt, dass es an den Sichtbetonoberflächen zu keinen Verdichtungsporen kam und somit die geforderte hohe Sichtbetonqualität nicht beeinträchtigt wurde. Bei dieser Entwicklung konnte die Bauunternehmung auf ihre Erfahrungen zurückgreifen, die sie bereits bei Ausführenden eines Libeskind-Objektes in der Schweiz sammeln konnte. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Arbeiten, da es der zunächst beauftragten Baufirma genau an dieser Erfahrung mangelte und sie daher von der Durchführung des Objekts zurücktreten musste.

Weitere wichtige Vorarbeiten waren auch die Erstellung von Musterplatten mit unterschiedlichen Betonzusammensetzungen zur Farbbemusterung sowie einer Musterwand, bei der man so wichtige Dinge, wie die Auswahl der Schalhaut, den richtigen Ausschalungszeitpunkt und vieles andere mehr vorab praxisgerecht ermitteln konnte.
In Dresden zeigte sich einmal mehr, dass zur Herstellung einer hochwertigen Sichtbetonoberfläche das Zusammenspiel vieler Komponenten gehört. Dies beginnt bei der Auswahl der richtigen Ausgangsstoffe (Kies, Zement etc.) und geht weiter mit der Zusammenstellung eines Teams, das vom Schalungshersteller, über den Baustofflieferanten bis hin zum bauausführenden Unternehmen reicht. Sie alle müssen sich nicht nur an einem exakten Maßnahmenplan orientieren, sondern insbesondere bei allen Beteiligten die für die Sichtbetonerstellung notwendige Sensibilität entwickeln.
Bautafel:
- Bauherr: Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium der Verteidigung
- Auftraggeber: Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement
- Architekt: Daniel Libeskind AG, Zürich, im Team mit reese lubic woehrlin Gesellschaft von Architekten mbH
- Baukosten (inklusive Ausstellung): 44 Mio. Euro
- Baubeginn: Oktober 2004
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siehe zudem:
- Betonbau, Betonfertigteile, Betonzusatzmittel, Bauchemie und Bauforschung auf Baulinks
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