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Wohnungsbauförderung und Flüchtlingspolitik zusammen denken

(17.9.2015) Immer mehr Verbände, die sich mit dem Planen, Bauen und Betreiben von Immobilien befassen, formulieren ihre Vorstellungen, wie mit Flüchtlingen, sozia­lem Wohnungsbau, Baugenehmigungen, Baustandards und nicht zuletzt mit der an­stehenden Verschärfung der Energieeinsparverordnung umzugehen sei. Hier eine Auswahl:

AK RLP: „Menschen brauchen Wohnungen, keine Container“

Das politische Sommerfest der Architektenkammer Rheinland-Pfalz (AK RLP) nahm Kammerpräsident Gerold Reker zum Anlass, den rund 300 anwesenden Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft, darunter Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen, eine Neuausrichtung der Wohnungsbaupolitik vorzuschlagen.

„Menschen brauchen Wohnungen, keine Container“, so Reker. „Menschen, die zu uns kommen, bringen ihre Jugend, ihre Familien, ihr Potenzial, die Vielfalt ihrer Kulturen - aber auch ihre Verwundungen mit. Da braucht es mehr als nur Unterbringung, ja so­gar mehr als nur Wohnungen. Es braucht intelligente stadträumliche Konzepte, um Ghettos vorzubeugen und Inklusion zu organisieren. Unsere Aufgabe ist es, neue Nachbarschaften möglich zu machen“.

Reker erinnerte an die Zeiten des programmatischen Wohnungsbaus in der Ver­gangenheit. Sie wurden von Zuwanderungswellen und gesellschaftlichen Umbrüchen angestoßen und haben positiv zur Entwicklung der Städte beigetragen: Die Gründer­zeit im ausgehenden 19. Jahrhundert ebenso wie die Wohnungsbauprogramme der 1920er und 1950er Jahre. Er rief die Festrednerin des Abends, Finanz- und Baumini­sterin Doris Ahnen, dazu auf „Mittel der Wohnungsbauförderung und des Flüchtlings­programms zusammen zu verwenden. Die so entstehenden Wohnungen sollten allen kostensensiblen Nutzergruppen offenstehen, Zuwanderern wie Einheimischen“.

Frau Ahnen verwies auf die gemeinsamen Projekte, die das Land zusammen mit der Architektenkammer durchführt. „Sie leisten einen Beitrag zur Förderung einer nachhal­tigen, qualitätsvollen Entwicklung der gebauten Lebens- und Siedlungsräume und sind wichtiger Bestandteil einer aktiven Wirtschafts- und Strukturpolitik.“ Mit der Architek­tenkammer wolle sie einen Mehrwert für die Menschen im Land erarbeiten und einen konkreten Beitrag für die ökonomische, ökologische und soziale Entwicklung von Rheinland-Pfalz leisten. 

Bauindustrie: „Standards aussetzen“

„Viele der jetzt zu uns kommenden Flüchtlinge werden auf Dauer bei uns bleiben und benötigen schnell kostengünstigen Wohnraum. Voraussetzungen sind aber eine deutli­che Verkürzung der Planungs- und Genehmigungsverfahren und die konsequente Aus­nutzung der Möglichkeiten, die das Vergaberecht jetzt schon für Notlagen vorsieht.“ Dies erklärte RA Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deut­schen Bauindustrie, am 8. September in Berlin. Das Vergaberecht sehe dies beispiels­weise für Fälle besonderer Dringlichkeit vor, was hier zweifelsohne gegeben sei.

Knipper plädierte darüber hinaus auch für die Aussetzung einiger Standards im Woh­nungsbau: Rund 40% der Kostensteigerung im Wohnungsneubau seit dem Jahr 2000 seien auf staatliche Vorgaben zurückzuführen, zum Beispiel durch die Verschärfung der Energieeinsparverordnung, von vermehrten Naturschutzauflagen oder der Belastung von Investoren bei der Finanzierung von sozialer Infrastruktur in den Kommunen. „Hier zu Kostenentlastungen zu kommen, kommt übrigens allen zugute, die kostengünstigen Wohnraum nachfragen. Zudem stimmen wir mit Bundesbauminis­terin Dr. Barbara Hendricks überein, die linearen Abschreibungsmöglichkeiten (AfA) im Mietwohnungsneubau zu erhöhen“, erklärte Knipper.

Knipper weiter: "Um die Nachfrage vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsbewe­gungen tatsächlich befriedigen zu können, brauchen wir mehr als 300.000 Wohnungen pro Jahr. Und wir brauchen sie gerade dort, wo die Menschen zuwandern, also in den Ballungsgebieten. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass Bundesbauministerin Dr. Barbara Hendricks ein ,Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen‘ ins Leben gerufen hat, in dem die Kräfte von Immobilien- und Wohnungswirtschaft gebündelt werden.“

Resolution der Wohnungswirtschaft zur Unterbringung von Flüchtlingen

Zwei Drittel der GdW-Unternehmen sollen sich aktuell bei der schnellen Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern engagieren. „In der aktuellen Notsituation wird jedoch häufig vergessen: Es geht nicht allein um die Erstunterbringung, sondern auch um die längerfristige Integration“, erklärte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenver­bandes der Wohnungswirtschaft GdW. Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen hat zu den konkret notwendigen Maßnahmen eine Resolution veröffentlicht:

Der GdW plädiert nachdrücklich für eine unmittelbare Zuständigkeit des Bundes für die Wohnraumförderung. Eine über die Kompensationsmittel hinausgehende Bundes­förderung sollte als Zuschuss, nicht als Zinsverbilligung gewährt und über einen Zeit­raum von mindestens fünf Jahren kontinuierlich erhöht werden. Die Förderung sollte zweckgebunden sein und für den Neubau sowie die Instandsetzung von leer stehen­den Bestandsbauten verwendet werden.

  • Die Einführung der nächsten Stufe der EnEV zum 1. Januar 2016 würde den Neubau von Wohnungen um ca. 7% verteuern. Aber auch der heutige Standard verhindere die Errichtung preisgünstigen Wohnraums. Der GdW schlägt daher ei­ne bis 2020 befristete Absenkung der Anforderungen auf das Niveau der EnEV 2009 vor bei Beibehaltung der aktuellen Förderkonditionen.
  • Bei starren Vorgaben, wie z.B. beim Lärmschutz, sollten die Baugenehmi­gungsbehörden ermächtigt werden, eine Abweichung von 10 Prozent zu tole­rieren.
  • Die kommunalen Bauämter müssen in der Regel personell deutlich besser ausge­staltet werden, um die Genehmigungsverfahren drastisch zu beschleuni­gen. Im Zweifel muss das Land bzw. der Bund die Verfahren an sich ziehen.
  • Die Wohnungswirtschaft hält es für erforderlich, dass die Wohnungsversorgung von den Bürgermeistern in den Städten und Gemeinden zur Chefsache erklärt wird. Die Kommunen müssen einen Wohnungsbaukoordinator benennen, den die Ländern bezahlen.
  • Bei der Erstunterbringung von Flüchtlingen in Altbeständen sollte Bestands­schutz gelten, damit keine zeitraubenden Baumaßnahmen den Einzug verzö­gern.
  • Die maximale Belegungsdichte in den Wohnungen dürfe die im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung geltenden Höchstgrenzen nicht überschreiten.
  • Länder, Landkreise und kreisfreie Städte müssen hinsichtlich der Kosten für die soziale Betreuung (einschließlich Deutschkurse etc.) und der Wiederherrich­tung von unbewohnbaren Wohnungen finanziell ausreichend ausgestattet sein.
  • Es müsse sichergestellt werden, dass Fördermittel für den geplanten Abriss von Wohnungen, die aufgrund der erhöhten Nachfrage vorübergehend zur Un­terbringung von Flüchtlingen genutzt und erst zu einem späteren Zeitpunkt ab­gerissen werden, auch danach noch zur Verfügung stehen.
  • In einigen Fällen werde es - unabhängig von der Marktsituation - notwendig sein, auch über Neubauvorhaben im Außenbereich nachzudenken und den grundsätzlichen Vorrang der Innenentwicklung neu zu bewerten.
  • Sollte es europarechtliche Vorschriften geben, die keine Ausnahmeregelung für die aktuelle Notsituation vorsehen, wird die Bundesregierung gebeten, in Brüssel für entsprechende Ausnahmetatbestände einzutreten.

Deutsche Umwelthilfe kritisiert GdW

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die Verbände der Wohnungswirtschaft für ihre Forderung, die energetischen Anforderungen an Gebäude und bis 2020 abzusen­ken. Aus Sicht der Umweltschutzorganisation missbraucht der Bundesverband deut­scher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) die aktuelle Debatte um die Un­terbringung von vielen hunderttausend Flüchtlingen, um die Standards der Energie­einsparverordnung um Jahre zurückzuwerfen.

„Es steht außer Frage, dass wir flexible und unbürokratische Lösungen für die Unter­bringung von Flüchtlingen benötigen. Aber die aktuelle Notsituation auszunutzen, um bestehende Klimaschutzstandards abzuwickeln, ist zynisch und ein bedauerliches Ver­halten der Branche“, erklärt DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

Der Vorschlag des Verbands werde Mietern viele Jahre lang höhere Unterhaltungskos­ten aufbürden. Das könne und dürfe nicht das Ziel einer sozial ausgewogenen Politik sein, so Müller-Kraenner weiter. Die Wohnungswirtschaft sollte die zukunftsfähige Energieversorgung in Deutschland unterstützen und nicht unnötig Ängste schüren. Die DUH warnt davor, Aspekte des sozial verträglichen und energieeffizienten Bauens und Wohnen gegeneinander auszuspielen. Auch niedrige Einkommensgruppen und der soziale Wohnungsbau haben ein Anrecht auf eine klimagerechte Sanierung und den sich daraus ergebenden Komfort sowie niedrige Heizkosten.

„Statt sich als Blockierer der Wärmewende für Deutschland zu etablieren, sollte die Wohnungswirtschaft die Vorteile von energetisch effizienten Gebäuden in den Vorder­grund rücken“, plädiert Peter Ahmels, Leiter Energie und Klimaschutz bei der DUH, und erinnert: „Ein hoher energetischer Standard führt zu einer deutlichen Wertsteigerung jeder Immobilie und senkt Energiekosten nachhaltig." Allein durch die Maßnahmen der ersten EnEV sei 2008 eine Heizkostenersparnis von rund 390 Millionen Euro möglich geworden.

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