Entsorgung von Polystyrol-Dämmstoffen sorgt nach der AVV-Novellierung für Ärger
(3.10.2016; zuletzt upgedatet am 16.12.2016) Bereits Anfang März 2016 ist die Verordnung zur Umsetzung der
novellierten abfallrechtlichen Gefährlichkeitskriterien beschlossen worden (BGBl.
I S. 382). Im Artikel 1 wurde die
Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) geändert, von der spätestens seit dem 1. Oktober
auch Polystyrol-Dämmstoffe betroffen sind, die das Flammschutzmittel HBCD (Hexabromcyclododecan)
enthalten und deren HBCD-Gehalt mindestens dem HBCD-Grenzwert von 1.000
mg/kg entspricht. Polystyrol-
Um welche Mengen geht es überhaupt? Nach Angaben der
Bundesregierung fallen in Deutschland jährlich 230 Kilotonnen Dämmabfall an.
Davon sind 42 Kilotonnen aus Polystyrol und 35 Kilotonnen gemischter
Baustellenabfall, der - sofern er Polystyrol-
Entsorgungsengpass bei Dämmstoffen
Ziemlich spät fällt nun auf, dass vielen Verbrennungsanlagen die Genehmigungen oder technischen Vorrausetzungen fehlen, um die Wärmedämmplatten zu entsorgen. So erklärte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), RA Michael Knipper, Ende September: „Der Entsorgungsnotstand für Styroporabfälle ist auf den Baustellen angekommen, weil Verbrennungsanlagen diese Abfälle nicht mehr annehmen. Die Entsorgungsunternehmen holen dieses Material erst gar nicht mehr von den Baustellen ab. Damit droht die gesamte Baustellenlogistik zusammenzubrechen. Zeitliche Verzögerungen und Mehrkosten sind vorprogrammiert und das in einer Zeit, in der dringend Wohnungen saniert werden müssen.“
Auch Josef Rühle, Geschäftsführer Technik beim Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH), warnte Ende September: „Aus zahlreichen Bundesländern wird gemeldet, dass derzeit so gut wie keine Möglichkeit besteht, HBCD-haltige Polystyrol-Dämmstoffe zu entsorgen, da den Müllverbrennungsanlagen entweder die rechtliche Genehmigung für die Entsorgung des jetzt gefährlichen Mülls fehlt oder weil die Anlagen ausgelastet sind.
Dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie liegen laut Knipper Berichte vor, wonach die Kosten für die Entsorgung dieser Bauabfälle von 200 Euro pro Tonne auf bis zu 7.000 Euro pro Tonne angestiegen seien. „Das ist insbesondere vor dem Hintergrund des großen Wohnraumbedarfes in den Ballungszentren ein herber Rückschlag für die Errichtung kostengünstigen Wohnraums. Zudem konterkariert es die Ziele des von Bundesbauministerin Hendricks ins Leben gerufenen Bündnisses für kostengünstiges Wohnen und Bauen, indem erneut eine Regelung geschaffen wird, deren Folgen nicht in letzter Konsequenz bedacht wurden,“ beklagt der HDB-Hauptgeschäftsführer.
Zu Buche schlagen dem Vernehmen nach nicht nur die höheren Annahmekosten bei den Verbrennungsanlagen, sondern ggf. auch höhere Transportkosten als Folge längerer Transportwege, wenn nur einzelne Verbrennungsanlagen über eine entsprechende Anlagengenehmigung verfügen. Hinzu kommen vermehrte logistische Aufwendungen - zum Beispiel durch die Bereitstellung separater Entsorgungscontainer auf der Baustelle, sowie Kosten im Zusammenhang mit dem Nachweis gefährlicher Abfälle.
Bundesländer sollen Regelung kurzfristig aussetzen
Die Bauindustrie fordert nun die Länder auf, über den Bundesrat ein Änderungsverfahren einzuleiten und kurzfristig mittels eines sechsmonatigen Moratoriums den Vollzug der neuen Regelung auszusetzen, so dass die bisherigen Entsorgungswege weiter genutzt werden können und der derzeitigen Kostenexplosion auf dem Markt entgegengewirkt werden kann.
Knipper resümiert: „Es ist ein Unding, dass die Länder eine bundesweit geltende Regelung einführen, ohne die Folgen zu bedenken. Die Länder müssten daher, auch mittelfristig, die Folgen der neuen Regelung neu diskutieren und pragmatische Lösungen finden, die sowohl der Umwelt gerecht werden als auch für die betroffene Wirtschaft umsetzbar und bezahlbar bleiben.“
Update vom 23.10: Erste Reaktionen von Bundesländern
U.a. das Umweltministerium Baden-Württemberg hat in einem aktuellen Erlass die Rahmenbedingungen klargestellt, unter denen Müllverbrennungsanlagen auch weiterhin HBCD-haltige Dämmstoffe verbrennen können. Zudem hat das Ministerium die Betreiber der sechs Müllverbrennungsanlagen im Land sowie die betroffenen Verbände zu einem Gespräch eingeladen - siehe Baulinks-Beitrag vom 23.10.2016.
Update vom 16.12: befristete Ausnahmeregelung für HBCD-haltige Dämmstoffe
Der Bundesrat hat 16. Dezember 2016 auf Antrag der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen beschlossen, dass die Deklarierung von HBCD-haltigen Dämmstoffen als „gefährlicher Abfall“ für ein Jahr ausgesetzt werden solle. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat umgehend versprochen, den Beschluss der Länderkammer noch vor Weihnachten im Kabinett bestätigen zu lassen, damit er so schnell wie möglich in Kraft treten kann - siehe Baulinks-Beitrag vom 16.12.2016.
siehe auch für zusätzliche Informationen:
- Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. (HDB)
- Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH)
- HBCD-Krise
- Udi Dämmsysteme führt das Geschäft der Unger-Diffutherm fort (2.7.2017)
- Verordnung zum Umgang mit POP-Abfällen (inkl. HBCD-haltiger Dämmstoffe) vom Kabinett beschlossen (8.6.2017)
- Bundesverordnung verspricht Entschärfung/Lösung(?) der HBCD-Krise (23.4.2017)
- AG EHDA engagiert sich für die verlässliche Entsorgung von HBCD-haltigen Dämmstoffabfällen (19.4.2017)
- Neue Analysemethode zur Bestimmung des HBCD-Gehalts in Dämmstoffen (18.12.2016)
- weitere Details...
ausgewählte weitere Meldungen:
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- BASF hat erste Styrodur-Anlage komplett auf neues Flammschutzmittel umgestellt (20.6.2014)
siehe zudem:
- Dämmstoffe im Baustoff-Magazin und Wärmedämm-Verbundsystem im Fassaden-Magazin sowie Baustoff-Recycling von Baulinks
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