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Was taugt die Literatur zur neuen HOAI?

  • Fachbeitrag: Justitiar Dr. Ebert ist auf einige Merkwürdigkeiten gestoßen

(8.11.2009) Zwar gilt sie schon seit knapp drei Monaten, brauchbare Literatur zur neuen HOAI gibt es jedoch derzeit nur rudimentär, auch wenn die Verlage sich seit Wochen darin überschlagen, Neuerscheinungen anzukündigen. So handelt es sich bei den bis Redaktionsschluss erschienenen Werken durchweg um Textausgaben mit amtlicher Begründung oder um erweiterte Honorartabellen, wie etwa die erweiterten Honorartafeln für Ingenieure von Simmendinger (siehe bei Amazon) oder das Honorartabellenbuch von Seifert (siehe bei Amazon). Dass es für diese Druckwerke noch einen Markt gibt, erstaunt angesichts der verbreiteten elektronischen Hilfsmittel auch für Interpolationen.

Noch überraschender ist jedoch, dass beide Werke zwar meist, jedoch nicht stets dieselben Zahlen liefern. So verlangt ein Ingenieurbauwerk mit anrechenbaren Kosten von 26.000 Euro in Honorarzone III dem Auftraggeber bei Seifert ein Honorar von 4.011 Euro ab, bei Simmendinger zahlt er 4.018 Euro. Ähnlich sieht es bei Verkehrsanlagen und der Tragwerksplanung aus, dagegen wirft bei der technischen Ausrüstung Simmendinger die billigeren Interpolationswerte aus - die Abweichungen beschränken sich jedoch nur auf die ersten Zwischenstufen. In wessen Formel ein Fehler steckt, mögen die Autoren untereinander klären, der Rezensent jedenfalls findet bei eigener Berechnung die Seifert'schen Zahlen bestätigt.

Während die meisten Textausgaben keine oder nur eine eher knappe Darstellung der Änderungen in der neuen HOAI enthalten, wie bei jener des Werner-Verlags (Einleitung Locher mit Berechnungsbeispielen von Seifert, siehe bei Amazon), sticht ein Buch aus der Fülle der Neuerscheinungen dadurch hervor, dass es auf ca. 30 Seiten die Neuerungen erläutert (Rohrmüller, HOAI 2009, Boorberg Verlag, siehe bei Amazon). Dem Freiberufler wird dabei die Feststellung Unbehagen bereiten, dass der Verfasser als Verwaltungsdirektor beim Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband tätig ist, welcher unter den selbständigen Ingenieuren in dem Ruf steht, die HOAI mitunter einseitig zugunsten der öffentlichen Hand auszulegen. So öffnet denn mit Spannung der Leser den Buchdeckel und nimmt mit Staunen zur Kenntnis, dass die Streitfrage, welche HOAI-Fassung bei Stufenverträgen gilt, zutreffend dahin beantwortet wird, dass die Frage einer Mindestsatzunterschreitung durch eine unter Geltung der alten Fassung beschlossene Honorarvereinbarung am Maßstab der HOAI 2009 zu prüfen ist (S. 9).

Auch die Feststellung, dass die im Anhang 1 aufgeführte unverbindliche Vergütung für die sog. Beratungsleistungen "Richtschnur in der Einschätzung der üblichen Vergütung im Sinne von § 632 Abs. 2 BGB" sein kann, lässt sich jedenfalls derzeit nicht von der Hand weisen. Worauf der Verfasser freilich seine Erkenntnis gründet, dass die am Markt durchsetzbaren Honorare, welche den Maßstab für die Üblichkeit darstellen, "mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich von den Honorarempfehlungen in den Honorartafeln nach unten abweichen" werden (S. 15), teilt er nicht mit. Der Argwohn des Lesers, der Verfasser antizipiere hier bereits die Auswirkungen des künftigen Prüfverhaltens seines Arbeitgebers, ist selbstverständlich ebenfalls aus der freien Luft gegriffen.

Keinesfalls überzeugen kann die Einschätzung zum Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Satz 2 (S. 21). Dass die anrechenbaren Kosten von Kläranlagen und Kanalnetz bei der Objektplanung nach dieser Vorschrift zusammengerechnet werden müssen, kann nicht ernsthaft vertreten werden, denn für beide Maßnahmen werden sich regelmäßig keine "weitgehend vergleichbaren Objektbedingungen derselben Honorarzone" belegen lassen. Dagegen scheint das weitere Beispiel vertretbar, wonach Kosten von Schmutz- und Regenwasserkanälen und Frischwasserleitungen zusammengefasst werden können, wenngleich einschränkend zu ergänzen ist, dass stets die jeweiligen Verhältnisse im Einzelfall zu betrachten sind. Voraussetzung muss sein, dass die Leitungen sämtlichst im selben Rohrgraben liegen, über dieselben Verknüpfungen verfügen und denselben Zwangspunkten ausgesetzt sind, damit nicht nur vergleichbare Objektbedingungen, sondern auch dieselbe Honorarzone vorliegt.

Zustimmung verdient hingegen die These des Verfassers, dass der Wert der mitverarbeiteten Bausubstanz nicht über die Ziffer 3.3.6 der DIN 276 Dezember 2008 gewissermaßen durch die Hintertür wieder in die anrechenbaren Kosten eingerechnet werden kann (S. 22). Denn der Wille des Verordnungsgebers steht, wie Rohrmüller zutreffend darstellt, einer solchen erweiternden Auslegung entgegen. Ohnehin würde dieses Schlupfloch nur für Maßnahmen des Hochbaus greifen können, denn nur für sie wird die DIN 276 durch die HOAI in Bezug genommen.

Ergibt sich die Notwendigkeit der Beauftragung von zunächst nicht vereinbarten Besonderen Leistungen, denkt Rohrmüller laut (erkennbar durch Fettdruck) darüber nach, ob nicht nach Treu und Glauben und in sinngemäßer Anwendung von § 2 Nr. 6 Abs. 2 VOB/B den Auftragnehmer eine Ankündigungspflicht der Honorierungsfolgen trifft, weil die Abgrenzung von den (ehemals Grund-)Leistungen und Besonderen Leistungen für den Auftraggeber vielfach nicht nachvollziehbar sei (S. 28). Bislang galt der Grundsatz, dass es keine Hinweispflicht auf Honorarauswirkungen gibt. Warum das bei Leistungen anders sein soll, bei denen schon das BGB davon ausgeht, dass eine Vergütung regelmäßig zu erwarten ist (vgl. § 632 BGB), erschließt sich nicht. Da scheint es doch wohl eher Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Prüfeinrichtungen zu sein, die öffentliche Hand über die Kostenfolgen bei der Beauftragung zusätzlicher Besonderer Leistungen zu belehren; auf das Ingenieurbüro jedenfalls kann diese Aufgabe nicht delegiert werden - es sei denn, sie würde als Besondere Leistung zusätzlich beauftragt...

Anerkennung muss dem Verfasser für seine mutige Empfehlung gezollt werden, für die frei zu vereinbarenden Zeithonorare die Stundensätze der früheren HOAI 1996 unter Zugrundelegung eines Aufschlages von 20 % zu empfehlen (S. 29). Mit dieser generösen Haltung greift er deutlich über die Anhebung um nur 10% hinaus, welche nach dem Einführungserlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zugebilligt werden. So gesehen lässt sich nur hoffen, dass diese Großzügigkeit in Bälde auch in das HIV-KOM Eingang finden möge, dem Handbuch für Ingenieurverträge im kommunalen Tiefbau, wo der Mindeststundensatz von 1996 zzgl. Aufschlag von 20% als vereinbart gilt, wenn die Vertragsparteien nichts anderes bestimmt haben. Es halten sich bekanntlich hartnäckig die Gerüchte, dass das HIV-KOM durch den Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband nicht nur empfohlen, sondern auch verantwortlich mitgestaltet wird. So möge also der Einfluss Rohrmüllers auf das HIV-KOM dazu beitragen, von der vertragsmäßigen Vordefinition eines Stundensatzes in Höhe von 38 Euro + 20% = 45,60 Euro für einen ausgebildeten und mit in der Regel mehrjähriger Berufserfahrung ausgestatteten Ingenieur schleunigst wieder Abstand zu nehmen und statt dessen die bisherigen üblichen, im Rahmen des §6 HOAI alt liegenden Stundensätze mit 20% beaufschlagt werden. Dass nur 45,60 Euro für den Auftragnehmer und 43,20 Euro für den Ingenieur die übliche Vergütung nach BGB sei, vertritt auch Rohrmüller nicht, zu Recht, denn eine vorformulierte Stundensatz-Regelung wie aktuell im HIV-KOM nachzulesen wäre AGB-rechtlich mindestens bedenklich.

Weil vorhandene und mitverarbeitete Bausubstanz künftig nur noch über den Umbauzuschlag erfasst werden soll und dieser dazu mit einer deutlich weiteren Spanne von bis zu 80% ausgestattet wurde, sollte jede Vertragspartei sich über den Umfang der Mitverarbeitung Gedanken machen, weil dies für die Festlegung des Zuschlags von Bedeutung ist. Soweit Rohrmüller den Wertfaktor wiederbelebt (S. 32), der den Werterhalt der Bausubstanz und den restlichen Nutzwert im Vergleich zu Neubaukosten erfassen will, bleibt er eine Antwort darauf schuldig, weshalb ein geringerer Substanzwert den Aufwand des Auftragnehmers reduziert. Jedenfalls aber ist die Schlussfolgerung, es würden sich im Ergebnis "überschlägig meist Zuschlagssätze zwischen 10 bis 20 % ergeben", eine prognostisch frei schwebende Vorhersage, deren Bedeutung freilich in der Wahrscheinlichkeit einer self-fulfilling prophecy begründet liegt, führt man sich die Position des Verfassers vor Augen.

Dass auch und gerade bei der Erhöhung des Umbauzuschlags wegen mitverarbeiteter Bausubstanz die Verhältnisse des Einzelfalles zu betrachten sind, sollte nicht zu bestreiten sein. Allerdings muss diese Einengung des möglichen Zuschlags auf 10 bis 20%, wenn schon abstrakt argumentiert wird, wohl auch berücksichtigen, dass die Spanne des Zuschlags unter der alten HOAI bei der Objektplanung nur bis 33%, bei der Tragwerksplanung nur bis 50% reichte und sie auf 80% erhöht ist, so dass eine Ausdehnung von 30 bis 47% vorliegt. Nur dies kann der abstrakte Rahmen sein, der zur Disposition steht.

Kein Widerspruch ist angebracht, wenn Rohrmüller die neue Malus-Regelung in §7 Abs. 7 Satz 2 anspricht und ihr attestiert, dass ihr keine große Bedeutung zukommen werde. Völlig zutreffend führt er aus, dass das Malus-Honorar nicht als limitierende Pauschalierung eines verschuldensunabhängigen Schadensersatz- oder Vertragsstrafeanspruchs missverstanden werden dürfe.

Dem Verfasser steht die Anerkennung zu, unter den Werken mit Textausgaben zur neuen HOAI als einziger eine vergleichsweise umfangreiche Einführung geliefert zu haben. Mag man ihm als Ingenieurunternehmer nicht in allen Punkten beipflichten, so lässt sich umgekehrt auch nicht feststellen, dass die Erläuterungen in Bausch und Bogen zu verdammen sind; immerhin werden die Änderungen zur alten HOAI umfassend und verständlich beschrieben. Bei der Lektüre gilt indes, was mahnend schon das Neue Testament uns gelehrt hat: Prüfet alles - und bewahret das Gute!

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