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Tausende TGA-Ingenieure fehlen der öffentlichen Bauverwaltung

(1.5.2019) Rückläufige Studierendenzahlen, ein über Jahre aufgebauter Investitionsstau mit gleichzeitigem Personalabbau sowie ein hoher altersbedingter Ersatzbedarf: Im Bereich der Technischen Gebäudeausrüstung (TGA) ist die Lage angespannt - und wird dies, ohne maßgebliche Veränderungen, auch in Zukunft bleiben. Konkret: Bis 2028 müsste sich die Zahl der TGA-Spezialisten und -Experten mehr als verdoppeln! Das sind zentrale Ergebnisse einer Untersuchung der BWI-Bau GmbH - Institut der Bauwirtschaft, Düsseldorf, im Rahmen eines Projektes der Forschungsinitiative Zukunft Bau.

  • Wie ist der aktuelle, bundesweite Bestand an TGA-Ingenieuren?
  • Wie wird sich der künftige Bedarf entwickeln?

Diese Ausgangsfragen hat der Auftraggeber der Studie, das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, gestellt. Eine berechtigte Fragestellung, denn die TGA erfährt derzeit einen enormen Bedeutungszuwachs - Stichworte hier sind Digitalisierung und steigendes Umweltbewusstsein. Die Leistungen von TGA-Spezialisten werden für vielfältige Projekte aufgerufen, sie betreuen etwa Universitäten, Wohn- und Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser, Laborgebäude bis zu großen Industriekomplexen. Dabei ist die TGA im klassischen Sinne ein Teilgebiet der Versorgungstechnik; ihre Ingenieure beschäftigen sich mit fünf Kerndisziplinen (VDI-Definition):

  1. Heizung: Wärmeerzeuger sowie -Speicher und -Lagerung, Vertrieb und Abgabe.
  2. Sanitär: Wasserverteilung, Abwasser oder Zubehör wie Waschbecken, Duschen, Badewannen etc.
  3. Raumlufttechnik: Lüftungsanlagen oder Klimaanlagen samt Zubehör.
  4. Elektrotechnik: Elektroinstallationen (Verlegung von Leitungen, Beleuchtung etc.) sowie IT-Infrastrukturen, Steuerungs- und Sicherheitstechnik.
  5. Fördertechnik: primär die Personenbeförderung in Gebäuden, also Aufzüge und Rolltreppen.

Bestand an TGA-Ingenieuren

In Deutschland wird eine eigenständige Berufs- oder Berufsuntergruppe „Technische Gebäudeausrüstung (TGA)“ nicht eigens erfasst. Nach welchen Quellen kann also dennoch der Bestand an TGA-Ingenieuren im Arbeitsmarkt abgeschätzt werden? Die Kombination dieser drei Statistiken bietet sich an:

  1. Statistisches Bundesamt: Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung. Ergebnisse des Mikrozensus zum Arbeitsmarkt. Fachserie 1 Reihe 4.1 - 2017.
  2. Statistisches Bundesamt: Mikrozensus: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Beruf, Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Erwerbstätigen in Deutschland. Fachserie 1 Reihe 4.1.2 - 2015.
  3. Bundesagentur für Arbeit: Beschäftigte nach Berufen (Klassifikation der Berufe 2010) - Deutschland, West/Ost und Länder (Quartalszahlen) - Dezember 2017

Mit dieser Datenlage ist es möglich, eine Annäherung für den Bereich TGA zu ermitteln. Zunächst geschieht dies über die Berufshauptgruppe „34 Gebäude- und versorgungstechnische Berufe“. Hier sind für die TGA-Branche relevante Berufsgruppen zusammengefasst. In dieser Berufshauptgruppe 34 führt das Statistische Bundesamt für 2015 insgesamt 891.000 Erwerbstätige auf:

Erwerbstätige in der Berufshauptgruppe „Gebäude- und versorgungstechnische Berufe“ in 2015 nach Berufsgruppen
Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 1 Reihe 4.1.2, Mikrozensus. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Beruf, Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Erwerbstätigen in Deutschland, S. 29 

Nur 8% der TGA-Stellen in öffentlicher Bauverwaltung

Interessant ist dann die Frage, in welchen Wirtschaftsbereichen die Erwerbstätigen in der Berufshauptgruppe „Gebäude- und versorgungstechnische Berufe“ arbeiteten. Platz eins belegte das Baugewerbe mit 32%, gefolgt von der Wohnungswirtschaft mit 21%. Die öffentliche Bauverwaltung folgte erst an sechster Stelle; hier sind rund 8% oder 75.000 Erwerbstätige aufgeführt:

Erwerbstätige in der Berufshauptgruppe „Gebäude- und versorgungstechnische Berufe“ in 2015 nach Wirtschaftsbereichen
Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 1 Reihe 4.1.2, Mikrozensus. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Beruf, Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Erwerbstätigen in Deutschland, S. 78. 

Die vorliegende Statistik erlaubt es, diese 75.000 Erwerbstätigen in der „öffentlichen Verwaltung“ noch einmal in drei Berufsuntergruppen zu unterteilen. Danach entfallen gut zwei Drittel auf die Berufsgruppe „Gebäudetechnik“, ein gutes Viertel auf die Berufsgruppe „Ver- und Entsorgung“ - und der verbleibende Rest ist der Berufsgruppe „Klempnerei, Sanitär, Heizung, Klimatechnik“ zuzurechnen

TGA: Vier von fünf Stellen waren mit Fachkräften besetzt, jeder Zehnte war Spezialist oder Experte

2015 arbeiteten also 75.000 Personen in der öffentlichen Verwaltung im Bereich Gebäude- und Versorgungstechnik - bleibt doch die Frage: Auf welchen Positionen? Wenngleich hier nur der Bestand an TGA-Ingenieuren interessiert, so machen diese doch nur ein Segment der Berufshauptgruppe „Gebäude- und versorgungstechnische Berufe“ aus. Der Mikrozensus des Statistische Bundesamtes erfasst alle Beschäftigten - von der angelernten Kraft bis zum akademisch ausgebildeten Geschäftsführer der Gebäudewirtschaft.

Trotzdem kann dieser Berufsstand eingegrenzt werden, hier hilft die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit weiter. Für alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in den einzelnen Berufshauptgruppen werden auch Anforderungsprofile erhoben. Konkret sind die Beschäftigten eingeteilt in die Kategorien Helfer, Fachkraft, Spezialist und Experte. TGA-Ingenieure sind den Kategorien „Spezialist“ und „Experte“ zuzurechnen:

  • „Spezialisten“ haben die notwendigen Kenntnisse im Rahmen von Fort- und Weiterbildung (Meister/Techniker) oder über einen Bachelorabschluss an ein Hochschule erworben.
  • Zur Einstufung als „Experte“ führt eine mindestens vierjährige Hochschulausbildung.

Konkret arbeiteten im Dezember 2017 in der Berufshauptgruppe „Gebäude- und versorgungstechnische Berufe" 8% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten als „Spezialisten“ und 2% als „Experten". Zusammen waren dies zehn Prozent aller aufgeführten Personen:

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Berufshauptgruppe „Gebäude- und versorgungstechnische Berufe“ nach Anforderungsniveau (Stand: 31. Dezember 2017)
Datenquelle: Bundesagentur für Arbeit: Beschäftigte nach Berufen (KldB 2010), Deutschland, Stichtag: 31. Dezember 2017 

Diese relativen Größen lassen sich nun auf die 75.000 Beschäftigten der Gebäude- und Versorgungtechnik im öffentlichen Dienst übertragen: So kann kumuliert von rund 7.500 Beschäftigten, die als „Spezialisten“ und „Experten“ in der Gebäude- und Versorgungstechnik tätig sind, ausgegangen werden.

Und der künftige Bedarf an TGA-Ingenieuren?

Aktuell leisten also rund 7.500 TGA-Ingenieure ihre Dienste in der öffentlichen Bauverwaltung. Dies ist bereits heute keine ausreichende Zahl an Personen - und erst recht nicht in zehn Jahren: Denn zum einen wird aus dem Alters- bzw. Demografie-be­ding­ten Ersatzbedarf eine hohe Personalnachfrage resultieren. Sprich: Viele der heute erwerbstätigen Ingenieure werden bis 2028 aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Zum anderen schlägt hier auch der gesamtwirtschaftliche Zusatzbedarf zu Buche - mit anderen Worten: Wie viele Ingenieure werden auf Grund langfristiger Wachstumstrends zusätzlich benötigt?

Demografie: Rund ein Viertel bis 2028 im Ruhestand

Wie viele neue Ingenieure braucht es also in den kommenden zehn Jahren, um zumindest den Bestand aufrecht zu erhalten? Im Mikrozensus für 2015 werden in der fraglichen Berufshauptgruppe 30% der Erwerbstätigen als „55 Jahre und älter“ aufgeführt. Ein Kraftakt - auch in absoluten Zahlen: Bezogen auf die Grundgesamtheit der Gruppe steht hier bis 2028 ein altersbedingter Ersatzbedarf von zirka 261.000 Personen an:

Erwerbstätige in der Berufshauptgruppe „Gebäude- und versorgungstechnische Berufe“ in 2015 nach Altersgruppen
Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 1 Reihe 4.1.2, Mikrozensus. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Beruf, Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Erwerbstätigen in Deutschland, S. 85 

Überträgt man nun rechnerisch die 30% des altersbedingten Ersatzbedarfs auf die öffentliche Bauverwaltung, müssten dort von den 75.000 Erwerbstätigen also rund 22.500 Stellen in den nächsten zehn Jahren aus Altersgründen ersetzt werden.

Allerdings dürfte in der öffentlichen Verwaltung der Anteil der über 65-jährigen Erwerbstätigen bei weitem nicht so hoch ausfallen wie im Unternehmenssektor, da hier zu den Erwerbstätigen auch die Selbstständigen zählen. Insofern kann bei der öffentlichen Bauverwaltung die Altersgrenze auf 65 Jahre angesetzt werden - was entsprechend einem Anteil der zu ersetzenden Personen von rund einem Viertel entspricht (24%) bzw. in absoluten Zahlen 18.000 Erwerbstätigen.

Übertragen auf die 7.500 Spezialisten und Experten im Bereich der öffentlichen Ge­bäude- und Versorgungstechnik wären hier in den nächsten zehn Jahren etwa 1.800 Personen zu ersetzen!

Zusatzbedarf an TGA-Ingenieuren

Wird das derzeitige volkswirtschaftliche Wachstum anhalten, steigt der Bedarf an Ingenieuren zusätzlich. Die Nachfrage besonders steigern werden wachsende Bauinvestitionen der öffentlichen Hand. Der zusätzliche Bedarf ist immens - es gilt, einen enorm hohen Investitionsstau abzubauen, der sich auch im kommunalen Bereich aufgebaut hat. Beispiel KfW-Kommunalpanel: Für 2017 liegt der von den befragten Städten, Gemeinden und Landkreisen angegebene Investitionsrückstand bei 159 Mrd. Euro (siehe nächste Grafik). Die größten Investitionsbedarfe der Kommunen zeigen sich in der Verkehrsinfrastruktur und bei Schulen.

Wahrgenommener Investitionsrückstand der Kommunen in 2017
Datenquelle: KfW Bankengruppe (2018): KfW-Kommunalpanel 2018, Frankfurt am Main, S. 12. 

Zur Abarbeitung dieses Investitionsrückstands ist der Einsatz weiterer TGA-Ingenieure erforderlich. Derzeit wird in den Kommunen ein Investitionsvolumen von zuletzt 18 bis 19 Mrd. Euro im Jahr realisiert.

Soll der Investitionsrückstand von 159 Mrd. Euro innerhalb von zehn Jahren abgebaut werden, müssten pro Jahr zusätzlich(!) knapp 16 Mrd. Euro ausgegeben werden. Statt rund 19 Mrd. Euro wie im Mittel der vergangenen zehn Jahre müssten künftig 35 Mrd. Euro ausgegeben werden, was einem Anstieg um 84% entspricht.

Die jetzigen Bauinvestitionen in Höhe von durchschnittlich 19 Mrd. Euro werden mit einem Bestand von rund 7.500 Beschäftigten als Spezialisten oder Experten für die Ge­bäude- und Versorgungstechnik mehr schlecht als recht erbracht. Wollte man eine um 84 % höhere Investitionssumme realisieren, so würden allein hierzu weitere 6.300 TGA-Ingenieure benötigt. Damit würde sich die Zahl der Spezialisten bzw. Experten für die Gebäude- und Versorgungstechnik auf 13.800 erhöhen.

Ausgaben der Kommunen für Baumaßnahmen
Datenquelle: Statistisches Bundesamt: Vierteljährliche Kassenergebnisse des Öffentlichen Gesamthaushalts. Fachserie 14 Reihe 2, verschieden Jahrgänge. 

Zusammen mit dem altersbedingten Ersatzbedarf in Höhe von 1.800 Personen benötigt die öffentliche Bauverwaltung also weitere 6.300 Spezialisten und Experten für die Gebäude- und Versorgungstechnik, um alle künftig anstehenden Bauaufgaben erfüllen zu können. Insgesamt käme die öffentliche Bauverwaltung also auf ca. 8.100 zusätzliche TGA-Experten bzw. Spezialisten, was mit plus 107 Prozent etwas mehr als einer Verdoppelung des derzeitigen Bestandes entspräche.

Die Frage aller Fragen: Woher nehmen?

Ist die Rekrutierung des dringend benötigten TGA-Personals angesichts der Konkurrenz etwa zum Baugewerbe und den Ingenieurbüros derzeit grundsätzlich bereits schwierig, so verschärft sich die Situation noch durch die Entwicklung beim Nachwuchs: So ist die Zahl der Studienanfänger in den besonders TGA-relevanten Bereichen Versorgungstechnik, Elektrotechnik und Bauingenieurwesen seit dem Wintersemester 2011/12 rückläufig:

Entwicklung der Studienanfänger in der Elektrotechnik; dem Bauingenieurwesen und der Versorgungstechnik
Datenquelle: Statistisches Bundesamt: GENESIS-Online 

Das Studium ausgerechnet dieser drei wichtigen ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen konnte also nicht vom generellen Studentenboom der vergangenen Jahre profitieren. Auch wenn sich bei den Bauingenieuren aktuell eine vorsichtige Trendwende abzeichnet, so wird diese erst in einigen Jahren auf den Markt durchschlagen - wenn überhaupt.

Fazit: Hybride Herausforderungen für die öffentliche Hand im TGA-Bereich

Viele Kommunen haben es in den letzten Jahren versäumt, ihre Bauverwaltung mit ausreichend Ingenieuren und TGA-Experten auszustatten. Im Gegenteil, parallel wurde sogar Personal abgebaut - Kapazitäten, die bereits heute fehlen.

Da zudem in den nächsten zehn Jahren mindestens ein Viertel der derzeit aktiven TGA-Ingenieure in den Ruhestand gehen dürfte, benötigt die öffentliche Bauverwaltung dringend Ersatz, um alle anstehenden Bauaufgaben erfüllen zu können. Insgesamt bräuchte sie also 13.800 TGA-Fachkräfte, statt der derzeit rund 7.500, was mehr als einer Verdoppelung des gegenwärtigen Bestandes entspricht (+107 %).

Karrieretag für die öffentliche Bauverwaltung am 13. November 2019

Das Forschungsprojekt trägt den Titel „Entwicklung eines Konzepts zur Gewinnung von Ingenieurnachwuchs für die öffentliche Bauverwaltung, insbes. im Bereich TGA“ und läuft noch bis Ende 2019. Die hier dargestellten Ausführungen basieren auf dem ersten Teil des Forschungsprojektes, einer grundlegenden Bestands- und Bedarfserhebung. In einem zweiten Teil werden aus dem entwickelten Konzept verschiedene Maßnahmen abgeleitet, die bis Ende 2019 umgesetzt werden. Unter anderem zählt dazu auch ein spezieller Karrieretag für die öffentliche Bauverwaltung, der am 13. November 2019 im Wissenschaftspark in Gelsenkirchen stattfindet und bei dem die Ausstellergebühren für Arbeitgeber der öffentlichen Bauverwaltung über das Forschungsprojekt getragen werden.

Der Autor Dr. Enno Paulsen ist im BWI-Bau zuständig für das Ressort Branchenanalyse / Baumarktökomomie und verantwortet im Forschungsprojekt die Ermittlung von Annäherungswerten für die Bestands- und Bedarfserhebung.

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