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Haptisches (Klinker)Erlebnis für sehbehinderte Kinder

(17.7.2007) Die ursprünglich für sehbehinderte Kinder geplante Schule in Unterschleißheim bei München wurde damals für ca. 80 Kinder und Jugendliche konzipiert, die teilweise im Internat, aber auch in Tagesstätten betreut werden. Den verschiedenen Funktionen zugeordnete Einzelhäuser gliedern sich an das zentrale Schulgebäude an. Junge Menschen sollten hier in Grund-, Haupt- und Realschule für ein "normales" Leben innerhalb der Gesellschaft vorbereitet werden.

Das Sehbehindertenzentrum entstand bereits 1983 nach den Plänen des Architekten Alexander Pagenstecher auf einem Grundstück im Straßendreieck Raiffeisenstraße/ Edith-Stein-Straße in Unterschleißheim (siehe Google-Maps). Heute, nach fast 25 Jahren, prägt das Areal eine sorgfältig gestaltete Parklandschaft, in die sich die zahlreichen Einzelhäuser einfügen: die Schul- und Wohngebäude in rotem Klinker, die Freizeitbauten sind mit grau lasierten Fichtenpanelen bekleidet. Die Erweiterungsbauten, um die es hier geht, wurden erforderlich, weil das Zentrum jetzt auch für blinde Kinder geöffnet werden soll. Konsequenterweise wurde für die Schulbauten wieder roter Klinker verwendet:


Fotos: GIMA - Girnghuber GmbH

Medizinischem Fortschritt ist es zu verdanken, dass die Anzahl blinder Kinder rückläufig ist. Die bis vor kurzem noch in München bestehende Blindenschule wurde deshalb aufgelöst und dem Träger des Sehbehindertenzentrums in Unterschleißheim zusätzlich die Aufnahme blinder Kinder übertragen, um sie zu integrieren. Sehbehinderte helfen Blinden und erleben so ganz neue, positive Erfahrungen. Synergien begleiten das Projekt und geben ihm einen neuen Sinn.

Eine entsprechende bauliche Erweiterung des Sehbehindertenzentrums war erforderlich geworden. Zusätzliche allgemeine Unterrichtsräume, Fachbereiche für Musik, Kunst und Informatik, ergänzende Flächen für die Verwaltung, sowie der Wunsch nach einer Aula gingen als neues Raumprogramm in die Planungen ein, mit der wiederum die Architekten Pagenstecher + Moosmang in Gräfelfing betraut worden waren. Zusätzliche Unterkunftsbereiche waren nicht erforderlich, da sich der Trend eher zu den Tagesschülern neigt.

Nutzung peripherer Restbauflächen

Das Planungskonzept für diese Schulerweiterung basiert auf folgenden Überlegungen: Der parkähnliche Charakter des Geländes mit seiner starken Durchgrünung, geprägt von einer Vielzahl von Einzelbäumen, sollte gewahrt bleiben. Ohne die Inanspruchnahme von viel Bauland wurden deshalb die Erweiterungsmaßnahmen als kompakte, höhere Baukörper in peripherer Lage geplant. Eine Verdichtung an der Raiffeisenstraße (siehe noch einmal Google-Maps) war angesichts der zwischenzeitlichen baulichen Entwicklung in der Nachbarschaft städtebaulich wünschenswert, um so gleichzeitig eine Dominante zu setzen, die deutlicher als bisher auf die Existenz des Sehbehindertenzentrums hinweist.

Die Schulerweiterungsflächen sollten aber auch in einem sinnvollen Kontext zum Bestand stehen. Der gewählte Bauort ermöglichte die direkte Anbindung an die bestehende Pausenhalle, Herzstück und Hauptverteiler der alten Schule. Gleichzeitig sollten im Sinne einer behindertengerechten Schulorganisation alle Unterrichtsräume im Erd- und 1. Obergeschoss untergebracht werden und die Bereiche für Lehrer, Schul- und Heimverwaltung in die oberen Geschosse verlegt werden. Umbauten im Bestand wurden deshalb im Zusammenhang mit der Umwidmung von Raumnutzungen erforderlich. In einem eigenen, neuen Gebäude an der südlichen Grundstücksgrenze sind deshalb all´ diejenigen Teile des Raumprogramms zusammengefasst worden, die in weniger intensivem Kontakt zum Zentrum der Schule stehen.


Aufgrund der begrenzten baulich nutzbaren Restflächen entwickeln sich die beiden Neubauten an der nördlichen und südlichen Grundstücksgrenze an der Raiffeisenstraße über mehrere Geschosse in die Höhe. Dieser herausgehobene Standort war geradezu dazu prädestiniert, die überregionale Bedeutung des Sehbehindertenzentrums durch ein besonderes Signal zu betonen und gleichzeitig zu dem gegenüber liegenden neuen Rathaus einen urbanen Kontrapunkt zu setzen. Die beiden als Rotunde ausgeformten Baukörper übernehmen weitgehend das vorgegebene zusätzliche Raumprogramm. Dem Südturm ist darüber hinaus die neu positionierte Eingangssituation zugeschrieben, weithin erkennbar durch ein sich ebenfalls in die Höhe entwickelndes Segel, das als Gegenpol zu dem sechsgeschossigen Nordturm empfunden wird.

Der Nordturm erhält seine sich nach oben verjüngende Spiralform nicht zuletzt durch die hier geltende Abstandsflächenregelung. Seine breite Basis ist durch eine großzügige Pausenhalle mit dem Gebäudebestand verbunden. Schneckenförmig aufsteigend, winden sich darüber die Verwaltungsbüros bis in das sechste Obergeschoss, dem höchsten Punkt des Nordturms, ausreichend weit von der Grundstücksgrenze entfernt und damit den Bauvorschriften gerecht werdend. Durch das in seinem Umfang nach oben immer kleiner werdende Gebäude wurde gleichzeitig der vorgeschriebene zweite Rettungsweg realisiert, und zwar über das Dach der Schnecke.

Klinkerwände geben Orientierung

Das Material der Fassade der Erweiterungsbauten unterstreicht neben der markanten kreisförmigen Ausformung der Türme und ihrer Höhenentwicklung signifikant den herausgehobenen Anspruch des Sehbehindertenzentrums. Das naturrote Klinkermauerwerk signalisiert - in Fortführung der Altbauten aus den 80er Jahren - eindeutig den Alleinstellungsanspruch des Ensembles innerhalb der zwischenzeitlich geschlossenen Umgebungsbebauung. Jetzt, wie auch damals, wurde auf den in Bayern traditionellen Putzbau verzichtet. Die geringe Blendwirkung der ungeschlämmten Ziegelfassaden wird von den Sehbehinderten als angenehm empfunden.

Die vor eine wärmegedämmte Stahlbetonkonstruktion mit Hinterlüftung gestellte Vorsatzschale wurde aus dem geschälten GIMA-Klinker "Catania" im NF-Format aufgemauert. 14 unterschiedliche Typen Formsteine - verschiedene Vollklinker, Sparverblender und Akkustikziegel - gehörten darüber hinaus zum Lieferumfang, um letztendlich in der Perfektion dieses anspruchsvollen Verblendmauerwerks aufzugehen. Die präzise Entwicklung der Fugen wurde so zu einer Wegbeschreibung für die Schüler, die sich an den Setzfugen des Materials orientieren. Die Klinkerfassaden sind die gemeinsame Sprache von Alt und Neu; in ihrer gerundeten Ausformung bedeuten sie zugleich ein wichtiges haptisches Erlebnis für die sehbehinderten und blinden Kinder.

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