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Abwassermonitoring zur Ermittlung des SARS-COV-2-Infektionsgrads

(10.5.2020) Viele SARS-COV-2-Infizierte werden in den Statistiken vom Robert-Koch-Institut oder der Johns Hopkins Universität nicht erfasst, weil sie entweder gar keine oder keine typischen Symptome aufweisen - und deshalb nicht getestet und gemeldet werden. Die Höhe der Dunkelziffer und der tatsächlich infizierte Anteil der Bevölkerung gilt aber als ein wichtiger Schlüsselparameter für die epidemiologische Bewertung einer Pandemie sowie die Prognose dafür, wie sie sich weiterentwickeln wird.

Vor diesem Hintergrund arbeitet ein Team von mehr als 20 Abwasserfachleuten, Mikrobiologen, Virologen und Modellierern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und der TU Dresden seit mehreren Wochen gemeinsam mit den Kläranlagenbetreibern der Städte Köln, Leipzig, Dresden, dem Wasserverband Eifel-Rur und weiteren 20 Städten daran, aus repräsentativen Abwasserproben unterschiedlich stark betroffener Bevölkerungsgruppen den Gesamtinfektionsgrad im Einzugsgebiet von Kläranlagen direkt zu erfassen.

„Wir werden in der zweiten Maihälfte zusammen mit zirka 20 Kläranlagen eine Testphase durchführen, die die gesamte Analysekette von der Entnahme und Aufbereitung der Proben über die PCR-Analyse bis zur Modellhochrechnung umfasst. Letztere muss mit kleinen Fallzahlen und einer großen Dynamik des Gesamtsystems zurechtkommen und auch Aussagen zur Unsicherheit der Prognosen erlauben“, erklärt Prof. Dr. Georg Teutsch, der Wissenschaftliche Geschäftsführer des UFZ und Initiator des Projektes.

DWA-Präsident Prof. Uli Paetzel ergänzt: „Die aktuelle Verunsicherung über die Möglichkeiten von Lockerungsmaßnahmen liegt auch in der weiterhin unklaren Datenlage über die Dunkelziffer an Infizierten. Wir freuen uns daher, das DWA-Netzwerk in dieses sehr erfolgversprechende Projekt einbringen zu können. Unsere engen Verbindungen zu den Betreibern der Kläranlagen sowie insbesondere unser Wissen und unsere Erfahrungen mit den Besonderheiten der Probenahme für Abwasseranalysen stellen wir den Projektpartnern gerne schnell und umfassend zur Verfügung.“

Die Idee des Abwassermonitorings

... ist nicht neu, ähnliche Untersuchungen wurden bereits im Rahmen des Drogenscreenings und im Zusammenhang mit Polio-Impfmaßnahmen durchgeführt. In Bezug auf das SARS-Coronavirus-2 berichteten bereits im Februar dieses Jahres niederländische Kollegen, dass sie wenige Infizierte pro 100.000 Personen anhand des Erbguts von SARS-COV-2 in Abwässern aus sechs Kläranlagen - darunter die des Flughafens Schiphol - mit hoher Empfindlichkeit detektiert haben.

In solchen Messungen steckt großes Potenzial für die Etablierung eines räumlich differenzierten, kontinuierlichen Frühwarnsystems, etwa um die Folgen von Lockerungsmaßnahmen zu beobachten und wenn nötig nachzusteuern.

  • Mit Probenahmen an ca. 900 Kläranlagen könnten
  • etwa 80% des gesamten Abwasserstroms

...  und damit ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland täglich erfasst werden. Das wäre zwar eine aufwendige, jedoch keinesfalls unmögliche Aufgabe, die - gemessen an der Aussicht, Infektionsherde bundesweit früh quantitativ, örtlich differenziert und in ihrem zeitlichen Verlauf erfassen zu können - überschaubare Kosten erzeugen würde.

Doch bis zu einem schnellen, kontinuierlichen, robusten und flächendeckenden Moni­toring- und Frühwarnsystem sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Das UFZ und die TU Dresden prüfen deshalb in Zusammenarbeit mit weiteren Forschungseinrichtungen und Betreibern von Kläranlagen seit einigen Wochen in einer breit angelegten Voruntersuchung die Umsetzungschancen dieses Gesamtansatzes unter Realbedingungen.

Abwasserprobenahme im Kanal (Foto © Jürgen Lösel) 

Die erste Herausforderung besteht darin, geringste Konzentrationen an Viren und RNA, die zudem starken Schwankungen unterworfen sind, zuverlässig in den Abwasserproben zu erfassen. Zweitens kommt hinzu, dass die Empfindlichkeit herkömmlicher Nachweisverfahren für die im Abwasser stark verdünnten und nicht mehr infektiösen SARS-COV-2-Viren nicht ausreicht. Deshalb arbeiten die Wissenschaftler zurzeit am „Bottleneck“ des Monitorings und an der Optimierung der Probenaufbereitung. Drei Aufbereitungsmethoden werden dabei parallel auf ihre Leistungsfähigkeit getestet:

  • die Gefriertrocknung,
  • die Säulenfiltration und
  • die Polyethylenglycolfällung.

Jede der Methoden hat ihre Vor- und Nachteile. Der Vorteil der Gefriertrocknung beispielsweise ist, dass die aufbereitete Probe wasserfrei ist. Der Nachteil: Die Aufbereitung dauert lange. Bei den anderen Methoden sind der hohe Personal- und Materialaufwand von Nachteil. Ferner wird zur Verfeinerung der PCR-Analysenmethode noch nach dem RNA-Signal eines immer in Abwasser vorhandenen harmlosen Virus gesucht, das als Referenz für die Verlässlichkeit der Methode dient. Des Weiteren führen die kleinen Fallzahlen und die Dynamik des Gesamtsystems zu starken Schwankungen der „Virenlast“ im Tagesgang, was im Probenahmekonzept, im eingesetzten epidemiologischen Modellinstrumentarium und bei Aussagen zur Unsicherheit der Modellergebnisse berücksichtigt werden muss. Überdies stellt ein bundesweites Anwenden dieses Monitoringansatzes eine erhebliche logistische Herausforderung dar - einschließlich einer notwendigen Automatisierung der Abläufe und kontinuierlichen Ergebnisauswertung.

„Entscheidend wird die Fähigkeit sein, eine Detektionsempfindlichkeit für SARS-COV-2 zu erreichen, die nicht erst bei hohen Zahlen von Infizierten verwertbare Ergebnisse liefert. Erste Ergebnisse stimmen uns vorsichtig optimistisch, unter den Grenzwert von 50 Infizierten je 100.000 Einwohner für das Interventionsmanagement zu kommen“, sagt UFZ-Virologe Dr. René Kallies, der einige Jahre am Robert-Koch-Institut und im Institut für Virologie der Universität Bonn geforscht hat und im Projekt für die Probenaufbereitung und PCR-Analytik verantwortlich ist.

Eine Gruppe des UFZ und der TU Dresden arbeitet derzeit intensiv daran, ein empfindliches, auf Abwasserproben angepasstes und für eine Hochdurchsatzanalytik geeignetes Analyseprotokoll zu entwickeln. Parallel dazu werden auch die Modellsysteme für einen geplanten kontinuierlichen Datenfluss aufgebaut. „Bis zur Operationalisierung eines integralen Abwassermonitorings ist aber noch ein ganzes Stück Weg zu gehen, auf dem wir auch so schnell wie möglich die Ergebnisse der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellen und diskutieren wollen“, ergänzt Dr. Kallies.

„Die von den sächsischen Forschern und ihren Kooperationspartnern angewandte Methode, die tatsächliche Infektionsrate der Bevölkerung festzustellen, klingt sehr vielversprechend. Wenn das Abwassermonitoring funktioniert und landesweit umsetzbar ist, steckt darin ein riesiges Potenzial für den Umgang mit der aktuellen SARS-COV-2-Pandemie - und perspektivisch auch für vergleichbare zukünftige Pandemien, weil damit valide Daten zur sogenannten Durchseuchung der Bevölkerung gesammelt und aufbereitet werden können“, kommentiert Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow.

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